23.10.2017

„Es wird spannend, wenn es um Abweichungen von der Norm geht“

Eine „Nebenwirkung“ des Internet of Things (IoT) sind Berge von Daten, die übermittelt, verarbeitet und ausgewertet werden müssen. Dr. Bettina Horster, Vorstand VIVAI Software AG und eco Direktorin IoT, erläutert im Interview den Umgang damit und prognostiziert darüber hinaus einen riesigen Einfluss von IoT und künstlicher Intelligenz auf die Industrie.

Frau Dr. Horster, im IoT werden laufend riesige Datenmengen produziert. Wie lassen sich diese sinnvoll einsetzen?

Im Internet of Things werden in der Tat sehr viele Daten gesammelt, aber nicht alle sind relevant. Es wird spannend, wenn es um Abweichungen von der Norm und um passende Reaktionen darauf geht. Nehmen wir das autonome Fahren als Beispiel: Ein Auto fährt geradeaus, auf einmal kommt ein anderes Fahrzeug dazwischen. Auf solche Dinge lauert das System und kann geeignete Maßnahmen einleiten, etwa ein Bremsmanöver.

Zudem lassen sich durch diese Daten sehr gut langfristige Zustandsveränderungen beobachten. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt Smart Service Power, mit dem das altersgerechte Wohnen durch intelligente Techniksysteme unterstützt werden soll. Dabei halten diese Systeme beispielsweise fest, ob sich jemand die Zähne wie immer putzt, die Kaffeemaschine, den Herd oder den Kühlschrank regelmäßig benutzt, ob er ausreichend trinkt und schläft und so weiter. Dabei fallen naturgemäß viele Daten an, mit deren Hilfe sich Veränderungen erkennen lassen.

Wenn beispielsweise jemand nur noch wenig schläft und stattdessen nachts durch die Wohnung irrt, vermehrt vergisst, sich die Zähne zu putzen, deutlich weniger trinkt als früher, dann kann das beispielsweise auf eine beginnende Demenz hindeuten. Das heißt, selbst ohne gravierende Veränderungen, nur anhand leichter Abweichungen, lassen sich solch schleichende Prozesse dank dieser Systeme gut erkennen.

Was bedeuten die Datenmengen für die Infrastruktur?

Das kommt auch darauf an, wie mit diesen Datenmengen umgegangen wird. Natürlich fallen viele Daten an, aber nicht alle sind interessant. Der Großteil der Daten ist sehr gleichförmig. Daher kann man schon am Ort des Geschehens viel herausfiltern. Denn was wir tatsächlich suchen – und letztlich auch übermitteln –, sind außergewöhnliche Ereignisse, also Vorfälle, die außer der Reihe stattfinden.

Ein Beispiel dazu im Bereich autonomes Fahren habe ich schon genannt. Dort wird viel direkt im Auto vorprozessiert, alles andere würde auch wegen möglicher Funklöcher gar nicht funktionieren. Auf diese Weise belastet nur ein Bruchteil der Daten, die insgesamt anfallen, die Infrastruktur zusätzlich. Eine gewisse zusätzliche Last für die Infrastruktur bringen die IoT-Plattformen aber naturgemäß mit sich.

Siri, Cortana, Alexa & Co. werden zurzeit vor allem spielerisch genutzt. Was für ernsthafte Anwendungen sehen Sie für smarte Assistenten?

Diese smarten Assistenten sind in vielerlei Hinsicht nützlich. Die sprachliche Kommunikation ist die für Menschen natürlichste und auch das, was Menschen am besten können. Aus meiner Sicht handelt es sich bei solchen Systemen um die zukünftig „normale“ Mensch-Maschine-Schnittstelle – und zwar in beide Richtungen, also um dem System Befehle zu geben, aber auch um Hinweise von ihm zu erhalten.

Um wieder ein konkretes Beispiel zu bringen: Bei Smart Service Power stellt das System fest, dass die Dame des Hauses zu wenig trinkt. Daher gibt es einen Push-Hinweis: „Christel, du hast nicht genug getrunken. Nimm doch noch ein Glas.“ In dieser Art kann ich mir sehr viele Anwendungen vorstellen, in denen das System assistiert und Hinweise liefert.

Ein weiteres Beispiel dazu wäre ein Einkaufsassistent, der darauf hinweist, wenn die Milch zur Neige geht. Solche intelligenten Systeme können sogar lebensrettend sein, etwa wenn ein Mensch, nachdem er gestürzt ist, das Telefon oder den Notfallknopf nicht mehr erreichen kann oder in Panik mit der Bedienung nicht mehr zurechtkommt. Stattdessen könnte er mit einem knappen Befehl ein solches smartes System einen Notruf absetzen lassen.

Wie schätzen Sie den Einfluss von IoT und künstlicher Intelligenz (KI) auf die Industrie ein?

Der Einfluss wird riesig sein. Der große Hoffnungsträger, das autonome Fahren, ist dafür ein Beispiel. Da geht es ja genau darum, Muster zu erkennen und vorauszuschauen, mit welchen Veränderungen zu rechnen ist, also ob jemand auf die eigene Fahrspur kommen wird und das Auto abbremsen muss.

Gerade im Bereich der Industrie gibt es aber noch viel mehr Anwendungsbereiche, in denen künstliche Intelligenz in naher Zukunft eine große Rolle spielen wird. Machine Learning ist ein sehr wichtiger Bereich. Nehmen wir etwa eine Holzfräse als Beispiel. Anhand von Vibrationsmustern kann das System erkennen, dass der Fräskopf in der nächsten Zeit ersetzt werden muss. Solche Systeme bieten also die Möglichkeit, sogenanntes Pedictive Maintenance auf sehr hohem Niveau zu betreiben.

Darüber hinaus sind die ganzen smarten Sprachassistenten KI pur. Die Wörter müssen auch semantisch verstanden werden. Auch in diesem Bereich bieten also KI-Tools ganz neue Möglichkeiten, die es zuvor nicht gegeben hat, weil die Rechenleistung einfach nicht zur Verfügung stand.

Mit dem Thema Daten beschäftigen sich auch die IoT Future Trends am 23. November in Köln.

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