Der Europäische Gipfel zur Digitalen Souveränität hat deutlich gemacht, wie groß der politische Wille ist, Europas digitale Handlungsfähigkeit zu stärken, und wie dringend dieser Wille jetzt in konkrete Strategien übersetzt werden muss. Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sind sich einig: Europa darf sich im Zeitalter von KI, Cloud- und Datenökonomie nicht länger in einer technologischen Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern einrichten. Ein Blick in die Wirtschaft zeigt, dass viele Unternehmen hier längst handeln.
Strategischer Paradigmenwechsel zeichnet sich ab
Die aktuelle Studie EuroCloud Pulse Check 2025 verdeutlicht, wie sehr sich die Perspektive verschoben hat. 83 Prozent der deutschen Unternehmen betrachten Resilienz und digitale Souveränität inzwischen als zentralen Bestandteil ihrer Cloud-Strategie. 57 Prozent setzen bereits auf Hybrid Clouds, weitere 22 Prozent planen Multi-Cloud-Modelle. Hinter diesen Zahlen steht ein strategischer Paradigmenwechsel: Unternehmen verteilen bewusst ihre digitalen Assets, um Risiken zu minimieren, Abhängigkeiten zu verringern und die Kontrolle über ihre Daten zurückzugewinnen. Digitale Souveränität wird so zur praktischen Ausprägung von Resilienz. Und zwar nicht als Schlagwort, sondern als betriebswirtschaftliche Notwendigkeit.
Dass dieser Wandel aus der Mitte des Marktes kommt, ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Noch vor wenigen Jahren dominierte in vielen Unternehmen die einseitige Orientierung an globalen Hyperscalern. Heute wächst das Vertrauen in europäische Alternativen, die technologische Leistungsfähigkeit mit rechtlicher Verlässlichkeit und Transparenz verbinden. Die Studie zeigt: deutsche und europäische Anbieter gewinnen an Relevanz, insbesondere bei sensiblen Bereichen wie Backup, Disaster Recovery oder Compliance-Management. Hier zahlt sich die europäische Verankerung aus – rechtliche Klarheit, Nähe zu den Rechenzentren und Schutz vor extraterritorialem Zugriff sind für viele Unternehmen inzwischen ein entscheidendes Auswahlkriterium.
Politisch spiegelt der Gipfel genau diesen Trend wider: Europa braucht eine verbindliche Cloud-Strategie, die digitale Souveränität nicht als Abschottung versteht, sondern als Fähigkeit zur selbstbestimmten Wahl technologischer Partner. „Souveränität als Resilienzprinzip“, das ist der Kern dieser neuen europäischen Agenda. Es geht nicht um ein „Europa gegen den Rest der Welt“, sondern um ein Europa, das auf Augenhöhe agiert: mit offenen, interoperablen Architekturen, klaren Sicherheits- und Compliance-Standards und einem Ordnungsrahmen, der Vertrauen schafft und Innovation fördert.
Europäische Digitalpolitik vor doppelter Aufgabe
Dass sich 57 Prozent der deutschen Unternehmen durch die aktuelle US-Außenpolitik in ihrer Infrastrukturstrategie verunsichert zeigen, unterstreicht, wie eng wirtschaftliche Stabilität und geopolitische Souveränität heute miteinander verflochten sind. Wer seine Daten, Anwendungen und digitalen Prozesse auf Infrastrukturen betreibt, die in letzter Konsequenz ausländischen Rechtsregimen unterliegen können, begibt sich in eine Abhängigkeit, die in Krisenzeiten zur strategischen Schwachstelle werden kann. Der Wunsch nach technischer und rechtlicher Eigenständigkeit ist also nicht ideologisch motiviert, sondern Ausdruck rationaler Risikosteuerung.
Damit steht die europäische Digitalpolitik vor einer doppelten Aufgabe. Sie muss einerseits die Voraussetzungen schaffen, damit europäische Cloud- und Infrastruktur-Anbieter skalieren und global wettbewerbsfähig werden können. Andererseits gilt es, gemeinsame Regeln und Standards zu etablieren, die Interoperabilität, Datensouveränität und Vertrauen sichern. Das bedeutet Investitionen in offene Schnittstellen, in gemeinsame Zertifizierungen, aber auch in Bildung und Know-how. Nur wenn Forschung, Wirtschaft und Politik gemeinsam handeln, kann aus der Vielzahl nationaler Initiativen eine echte europäische Cloud-Governance entstehen.
Der Gipfel in Berlin war ein wichtiges Signal, aber noch kein Zielpunkt. Die Wirtschaft hat gezeigt, dass sie bereit ist, Verantwortung für eine resiliente digitale Zukunft zu übernehmen. Nun liegt es an der Politik, diese Dynamik in eine kohärente Strategie zu überführen. Digitale Souveränität darf nicht länger ein erklärtes Ziel bleiben, sie muss zum europäischen Standortprinzip werden. Denn Resilienz entsteht nicht durch Abschottung, sondern durch die Fähigkeit, in einer vernetzten Welt selbstbestimmt zu handeln: Technologisch, rechtlich und wirtschaftlich.
Die digitale Zukunft Europas entscheidet sich in der Cloud. Wenn der Wille des Gipfels und die Realität des Marktes zusammenfinden, kann daraus mehr entstehen als ein politisches Schlagwort: eine nachhaltige, souveräne und widerstandsfähige digitale Wirtschaft made in Europe.


