09.09.2015

Interview mit Ekkehart Gerlach zu Videokommunikation und Digitalisierung

Digitalisierung, Bewegtbild und Videokommunikation– eine kritische Betrachtung

Die digitale Transformation ist ein vielschichtiger Prozess, um Unternehmen für die absehbaren Entwicklungen der näheren Zukunft fit zu machen. Dazu gehört die innovative Nutzung der bestehenden Möglichkeiten der IT- und Kommunikationstechnologie, aber auch ein klarer Blick auf Veränderungen und Chancen, die sich aus neuen Tools und Konzepten der ITK ergeben.

Wir fragen nach bei Ekkehart Gerlach, Geschäftsführer der deutschen medienakademie, was die aktuellen Herausforderungen für Unternehmen in Deutschland sind und auf welche Änderungen sich mittelständische Unternehmen heute schon einstellen sollten.

Die digitale Transformation ist sicherlich eine der wesentlichen Herausforderungen, auf die sich deutsche Unternehmen heute einstellen müssen. Was genau kommt da vor allem auf kleine und mittelständische Unternehmen zu?

Erst einmal, als direkte Antwort: Viel! Manchmal sogar so viel, dass man gar nicht weiß, wo man beginnen soll. In Bezug auf Digitalisierung gibt es selbst in der Führungsetage von Unternehmen, und das nicht nur bei KMUs, noch immer viele Defizite. Das Wesentlichste ist wohl, dass viele Entscheider oft nicht so genau wissen, was sie überhaupt meinen, wenn sie die Begriffe Digitalisierung oder digitale Transformation gebrauchen. Fragen Sie doch einfach mal eine Führungskraft, die diese Ausdrücke gebraucht, was genau sie darunter versteht! Ist Vernetzung per Internet gemeint? Die intensive Nutzung der IT- und Kommunikationstechnologien zur Erhöhung der Produktivität? Oder geht es um die Anwendungen und Dienste, die Nutzung von Plattformen, eine neue Art der Inhalte-Generierung? Oder, wie mache meinen, lediglich um die intensive Nutzung sozialer Medien wie Facebook oder Twitter in der Unternehmenskommunikation?

Alles das kann richtig und wichtig sein. Allerdings wird das, was wir heute unter „Digitalisierung“ verstehen, wohl auch nur ein vorübergehender Begriff sein, so wie es Multimedia in den 90er Jahren war und Social Media im letzten Jahrzehnt. Festzuhalten bleibt, dass das Potenzial der Digitalisierung, durch Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie (wir sagen dazu auch IKT oder ICT) und der intensiven Nutzung des Internets zur Steigerung der Produktivität, noch nicht wirklich in den meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen angekommen ist.

Wie können Unternehmer die sich ergebenden strategischen Potenziale, von denen Sie sprechen, für sich nutzbar machen?

Die Potenziale nutzbar zu machen benötigt eine durchdachte Strategie – und diese kann man nur dann entwickeln, wenn man über fundiertes Wissen verfügt. Wenn es gelänge, Führungskräfte mit besseren und ausgewogeneren Informationen und Kompetenzen zu diesen dynamischen und komplexen Themen zu versehen, würde sich dies schnell auch in besseren Entscheidungen in den Unternehmen äußern.

Gerade kleinere und mittelständische Unternehmen nutzen aber, wie Sie schon sagten, oft nicht alle Möglichkeiten, die Vernetzung und IKT zurzeit bieten, um das eigene Unternehmen voranzubringen. Was sind die Gründe?

Generell gelten wir Deutsche als wenig technologieaffin. Dann kommt noch dazu, dass – im Gegensatz zu den Amerikanern – der deutsche Mittelstand gar nicht so aufgestellt ist, dass man einfach anfängt, etwas zu tun, und dann erst schaut, was dabei herauskommt. Man ist zurückhaltender, bedachter und will sich erst konkret vom Mehrwert, dem tatsächlichen Nutzen, überzeugen. Es ist auch völlig verständlich, dass ein kleineres Unternehmen nicht das Personal hat, sich mit Dingen zu befassen, die außerhalb des eigenen Kerngeschäfts liegen. Wenn nötig, macht der Chef das eben selbst. Und auch er hat nicht immer die Zeit dazu. So priorisiert man nach angenommenem Aufwand und konkretem Nutzen. Und an dieser Stelle kann man mit dem Stichwort Digitalisierung eben nicht so gut punkten. Ein weiterer Grund mag sein, dass auch die nationalen Gewohnheiten unterschiedlich sind. Manche Länder haben eine andere Kultur im Umgang mit Innovationen, und Strategien, die dort wunderbar funktionieren, gehen hierzulande gar nicht auf.

Wie können Unternehmen durch IKT denn ganz konkret ihre Prozesse stärken und/oder die Kommunikation mit Kunden verbessern?

Konkret kann man den Nutzen der IKT am besten an Beispielen erklären. Nehmen wir einmal etwas ganz Innovatives wie Wearables oder noch konkreter Smart Glasses, also intelligente Brillen. In Labors beispielsweise helfen Smart Glasses schon seit einiger Zeit, Arbeitssicherheit und Produktivität spürbar zu verbessern, damit die richtigen Bestandteile für eine Mixtur zusammengesucht werden. Ein andere Anwendung aus dem Bereich Security: Ein Sicherheitsmann geht mit seinen Smart Glasses am Zaun entlang. Dabei wird ihm exakt das eingeblendet, was an der jeweiligen Stelle zu beachten ist. Im schlimmsten Fall erhält er eine Vorwarnung von einer Sicherheitskamera, dass hinter der nächsten Ecke jemand steht, der dort nicht stehen sollte. Hier eröffnen sich für Unternehmen, aber auch ganz konkret für deren Mitarbeiter, bisher ungeahnte Vorteile und Möglichkeiten.

Der Mehrwert der Nutzung von IKT lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen. Gerade bei der Aus- und Weiterbildung sowie dem Wissenstransfer im Unternehmen können IKT und Vernetzung dazu beitragen, das eigene Personal schneller und nachhaltiger zu schulen. Hier ist insbesondere auch an den Einsatz von E-Learning zu denken, mit dem sehr gut, sehr aktuell und sehr interaktiv Mitarbeiter weitergebildet werden können. Das ist sicher eine exzellente Möglichkeit, den hierzulande vielfach beklagten Fachkräftemangel zu mildern. Aber natürlich wird eine derart intensive Weiterbildung eigener Mitarbeiter häufig als vermeidbarer Kostenfaktor gesehen und gerade bei KMUs gerne vernachlässigt.

Welche Bedeutung messen Sie in diesem Zusammenhang Bewegtbildinhalten zu?

Derzeit zeigen einige Studien, wie zum Beispiel die jährlich erscheinende ARD/ZDF-Onlinestudie, dass die Nutzung von Bewegtbild per Internet generell einen massiven Zuspruch erfährt. Gerade im Bereich der Weiterbildung per E-Learning könnte Bewegtbild eine hohe Bedeutung erlangen, da es Inhalte mit besonders hoher Nachdrücklichkeit transportiert. Das heißt, dass man Bewegtbild im Bereich der Weiterbildung und überhaupt im B2B-Bereich dort einsetzen kann, wo es darum geht, Emotionalität zu vermitteln. Video ist deutlich beeindruckender als jedes andere Medium. Gleichzeitig hat das natürlich auch seine Haken und Ösen. Video ist oberflächlich und flüchtig. Eine Sequenz ist sofort wieder vorbei, ein Foto oder eine Printanzeige kann jeder Interessierte dagegen beliebig lange betrachten, eine Tabelle im Zweifel sogar so lange, bis man sie verstanden hat.

Angesichts der steigenden Bedeutung von Video haben wir sogar für eine Veranstaltung der deutschen medienakademie getitelt: „Auf dem Weg zur bewegtbildigen Gesellschaft?“ Bei der Analyse des Einsatzes von Bewegtbild muss allerdings bedacht werden, wie viel Bewegtbild der Mensch überhaupt verträgt.

Neben den Stärken und Schwächen der Bewegtbildkommunikation an sich spielt sicherlich auch die Veränderung in den Sehgewohnheiten eine Rolle bei der zunehmenden Bedeutung von Video und Co. in der Gesamtkommunikation?

Generell kann man wohl der Einschätzung folgen, dass zurzeit die Generation erwachsen wird, die den Konsum von Bewegtbild und von Inhalten on-demand so gewohnt ist, dass andere Mediennutzungen, insbesondere Printmedien, immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass Printmedien plötzlich völlig bedeutungslos werden. Aber wenn man die Situation mit der früheren vergleicht – mit einer Kommunikationskette, in der Print eine sehr starke Bedeutung hatte – ist eine Strategie, die auf Print setzt, nur noch ein Teil der Gesamtstrategie; so wie auch Video innerhalb der digitalen Kommunikation nur Teil der Gesamtstrategie sein kann, wenn es sinnvoll eingesetzt wird.

Wie könnte so ein sinnvoller Einsatz Ihrer Meinung nach aussehen?

Selbst kleine und mittelständische Unternehmen können heutzutage kostengünstig von der Möglichkeit starker Emotionalisierung und schneller Vermittlung von Wissen durch die Nutzung von Bewegtbild profitieren. Das kommt den Seh- und Nutzungsgewohnheiten zumindest der jüngeren Generation entgegen. Diese immer kleiner werdenden Häppchen, auf die sich übrigens auch das Fernsehen und das Radio immer weiter einlassen, verfestigen sich in weiten Teilen der Gesellschaft. Allerdings ist das letzten Endes kein natürliches, sondern ein antrainiertes Verhalten. Wichtig ist auch die Qualität. Beispielsweise wird der Trend zu immer kürzerer Kommunikation, immer kürzeren Videosequenzen nicht unendlich weitergehen. Es darf durchaus schon einmal eine längere, fast schon theatralisch anmutende Sequenz sein, wenn ansonsten alles stimmt. Man braucht also nicht unbedingt immer mehr und immer kürzere Videos, sondern bessere.

Glauben Sie denn, dass kleine und mittelständische Unternehmen diese Qualität bereitstellen können?

Darin liegt allerdings ein Problem. Wenn man sich die Webseiten, gerade von kleinen und mittelständischen Unternehmen, ansieht, so findet man nicht allzu viel Bewegtbild. Daran erkennt man schon, dass meist wenig Information und Kompetenz hinsichtlich des Einsatzes von Bewegtbild vorhanden ist. Können kleine und mittelständische Unternehmen die nötige Qualität überhaupt bereitstellen? Mit einem erfahrenen Dienstleister vielleicht. Aber man sollte sich als Unternehmer auch die Frage stellen, ob das für das eigene Unternehmen wirklich sinnvoll ist. Brauche ich Emotionalität? Habe ich stark  erklärungsbedürftige Produkte und Leistungen? Was ist der konkrete Nutzen für mein Unternehmen durch den Einsatz von Film? Für einen selbstständigen Metallbauer, der Regale und Tore baut, ist das vielleicht nicht viel Mehrwert. Der zeigt womöglich eher eine Liste mit möglichen Regalen nach Metern und Typen. Da kann jeder Interessent schnell nachsehen, was es alles gibt und sofort ohne weiteren Zeitverlust bestellen.

Festzustellen, ob es einen Nutzen durch Bewegtbild gibt, ist allerdings auch oft eine Herausforderung. Zwar bieten Websites und Plattformen wie YouTube meist Statistiken über die Zugriffszahlen, doch wie lassen sich diese interpretieren?

Die Erfolgskontrolle ist auch bei digitalen Medien nicht völlig problemlos, jedenfalls nicht unbedingt mit anderen Medien zu vergleichen – die Werbewirtschaft arbeitet ja heftig an einer einheitlichen Werbe-Währung. Was zieht man heute heran, um zu beurteilen, ob ein Video, sagen wir auf YouTube, erfolgreich ist? Hohe Klickzahlen sind sicher schön, aber nicht ausreichend. Nur weil ein Video 100.000 oder vielleicht sogar eine Million Klicks hat, sagt das nicht unbedingt etwas über Qualität und Erfolg aus. Um das beurteilen zu können, kommt es zum Beispiel darauf an, wie lange das Video angesehen wurde, welche Sequenzen angesehen wurden, wo der Video-Konsum abgebrochen wurde etc. Sehen die Zuschauer nur die ersten 30 Sekunden eines zweiminütigen Videos, die Werbebotschaft steht aber am Ende des Films, so bedeuten aus Werbesicht selbst eine Million Klicks überhaupt nichts. Und eine Million Menschen, die nicht über den Film, sondern über das Unternehmen lachen, das damit werben will, sind wahrlich kaum als Erfolg zu verbuchen.

Wie kann man dann überhaupt den Erfolg bewerten?

Gefragt werden muss, ob die Werbebotschaft überhaupt wahrgenommen, wie lange der Bewegtbildinhalt tatsächlich angeschaut und wie der Film vom Zuschauer empfunden wurde. Reine Klickzahlen sagen darüber wenig aus – und diese Analyse kostet Zeit und Geld. Leider steht in vielen Unternehmen die Kostenabwägung im Vordergrund. Richtig ist aber natürlich, dass der Erfolg aller Maßnahmen letztendlich am Kassenstand gemessen wird. Nur wenn das Ergebnis stimmt und sich die Investitionen in barer Münze bezahlt machen, kann man von einem Kommunikationserfolg sprechen.

Sie plädieren also dafür, verstärkt auch die versteckten Kosten – beispielsweise entgangene Verkäufe oder geringere Reichweite aufgrund mangelhafter Qualität in der Kommunikation – mit in die Kostenkalkulation einzubeziehen, um einen realistischen Blick auf die Kosten von Kommunikationsmaßnahmen zu gewinnen?

Es kann nicht falsch sein, neben den Kosten auch die Mehr-Umsätze und die langfristige Kundenbeziehung zu betrachten, die sich durch die genannten Video-Werbemaßnahmen erzielen lassen. Kostenbetrachtungen allein sind eben nur die eine Seite der Medaille.

Kleine und mittelständische Unternehmen haben in letzter Zeit Social Media als kostengünstiges Kommunikationstool für sich entdeckt, nachdem größere Player damit schon länger gute Ergebnisse erzielt haben. Trotzdem scheint es in letzter Zeit um das Thema ruhiger zu werden. Wie sehen Sie das?

Es gibt eine jährliche Umfrage des BITKOM zur Relevanz von Catchwords aus Sicht der IKT-Unternehmen. Hierbei ist Social Media von einem Platz unter den ersten fünf auf Platz Nummer elf abgestürzt. Mittlerweile sehen nur noch rund 20% der Befragten diesen Bereich als wichtig an. Wichtiger werden heute eher Themen wie Sicherheit und Cloud-Computing. Dabei ist es nicht Social Media selbst, das an Bedeutung verliert. Vielmehr haben zahlreiche Unternehmen – oft durch Missmanagement der Kommunikationsabteilungen – schlechte Erfahrungen mit den sozialen Netzwerken gemacht, als Kommunikationsreichweiten nicht den Erwartungen entsprachen oder Social Media für platte Sales-Maßnahmen genutzt wurden.

Manche Experten sehen derzeit auch einen Rückzug der Verbraucher hin zu privateren oder zumindest scheinbar privateren Kommunikationstools wie WhatsApp. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Nun ja, WhatsApp hat es ja immerhin bis auf die Titelseite der „Wirtschaftswoche“ geschafft – als die App, die am meisten Daten bei den Nutzern abgreift. Insoweit kann man da von Privacy wohl kaum sprechen, eher bei anderen vergleichbaren Diensten. Transparenz hat hier noch einmal eine ganz andere Bedeutung gewonnen. In der Praxis sieht man immer wieder, dass vor allem junge Leute auf der einen Seite einen wahren Horror vor dem Abhören durch den Staat an den Tag legen, auf der anderen Seite aber beliebig viele Merkmale und persönlichste Informationen auf ihren Profilen in die sozialen Netzwerke einstellen. Das Auseinanderklaffen dieser Einschätzungen bei ein und derselben Person wird von Experten mit dem überbordenden Hang der Nutzer zur Bequemlichkeit erklärt.  Trotzdem ist es schon sehr erstaunlich. Das Thema wird uns sicher auf absehbare Zeit noch weiter beschäftigen, denken Sie nur an die zunehmende Bedeutung von Big Data. Oder mal ein ganz konkretes Beispiel: Location-based Services ergänzen unsere sowieso schon vorhandenen Profildaten in den sozialen Medien um ortsbezogene Daten, so dass daraus genaue Bewegungsprofile abgeleitet werden können. Was für die Marketingleute unter der Bezeichnung von „Bedürfnisorientierung“ untersucht wird, ist für manche Konsumenten eher eine Horrorvision, die Orwells „1984“ weit übertrifft.

Wie kann man den Befürchtungen der Verbraucher hinsichtlich der Datensicherheit entgegenkommen?

Dahinter steht ein Geben und Nehmen. Wenn jemand im intelligenten Supermarkt von morgen Waren für 100 Euro in seinen Warenkorb legt und dann automatisiert Vorschläge bekommt, wie er durch die Nutzung von Angeboten mit nur 90 Euro Kosten aus dem Laden herauskommt, so ist das ein realer Mehrwert. Im Gegenzug nimmt er natürlich in Kauf, dass der Ladeninhaber immer besser weiß, was er im Laden tut und was er einkauft.

Wie sich das alles in Zukunft weiter entwickeln wird, ist schwierig vorherzusagen. Wenn bei Nutzung von Social Media viele hundert Profilmerkmale aktiv eingegeben und vor allem passiv durch Tracking erhoben und ausgewertet werden, wenn bei mobiler Nutzung per Smartphone die Qualität der Daten durch ortsbezogene Koordinaten gesteigert wird, mit Fitness-Bändern und Smartwatches jederzeit Gesundheitsdaten erfasst und ausgewertet werden und auch zuhause mit der Datenerfassung nicht gestoppt wird, wenn das Smartphone eingeschaltet bleibt und/oder Connected TV live von der Couch berichtet, schwanken die Bewertungen der Experten je nach Hintergrund zwischen Bedürfnisorientierung und Dauerüberwachung, durch wen auch immer. Ob unser diesbezügliches Sicherheitsbewusstsein genügend ausgeprägt ist, um konkrete Gegenaktionen zu starten, oder ob das alles so schon ganz ok ist, darüber streiten die Gelehrten – und die Politiker. Gleichwohl hat dies wiederum Auswirkungen auf andere IKT-Bereiche, ob nun Bring-Your-Own-Device (BYOD), Cloud Computing oder Connected Car, wenn beispielsweise das rasante Um-die Kurve-Fahren erfasst wird und die Kfz-Prämien proportional steigen. Inwieweit wird eine intensive Nutzung der Cloud noch möglich sein, wenn alle Netze angriffsgefährdet sind? Wem gehören die vielen erfassten Daten im Connected Car überhaupt – dem Händler, dem Hersteller, der Plattform, einer Versicherung oder vielleicht doch auch ein wenig dem Autofahrer? Über solche Fragen müssen sich auch kleine und mittelständische Unternehmer heute schon Gedanken machen. Für die Zukunft des Internets ist es daher unerlässlich, dass es im Spagat zwischen Kontrolle und Freiheit gelingt, einen möglichst hohen Sicherheitsstand zu erzielen – und dies auch zu vermitteln.

Welchen Herausforderungen werden sich vor allem Unternehmen bezüglich der Entwicklung des Internets noch stellen müssen?

Unter dem Stichwort „Future Internet“ wird derzeit von einer Handvoll Spezialisten diskutiert, wie das Internet zukunftsfähig umgebaut werden kann. Insoweit kann es für Führungskräfte kein Fehler sein, dieser Diskussion ein wenig zu lauschen, um frühzeitig neue Entwicklungen mitzubekommen. „National Routing“ oder „Netz-Neutralität“ und ähnliche Stichworte sind da nur eine kleiner Teil von der Spitze des Eisbergs. Wenn wir es einmal auf Ihre Frage nach den Auswirkungen auf das bewegte Bild projizieren, geht es auch darum, ob es sinnig sein kann, immer mehr oder womöglich einmal alles Bewegtbild in Datenpakete zu packen und die Netze dicht zu fahren – wo doch gleichzeitig 50 oder 60 Milliarden „Dinge“ an das Internet der Dinge angeschlossen werden sollen.

Sie sprechen radikale Änderungen im IKT-Bereich an, die auf Unternehmen zukommen. Gibt es noch andere Technologien, die Firmen vor ganz neue Herausforderungen stellen werden?

Ganz prominent: Die Cogs stehen bereits vor der Tür. Cognitive Computing wird die digitale Welt revolutionieren. Als Watson im Jahre 2011 zwei menschliche Gegenspieler bei Jeopardyschlug, war das eine große Sache. „Damals“ bestand Watson aus langen Racks mit vielen, vielen Computern. Heute kann man bereits die gleiche Rechenleistung mit einem Computer in der Größe einer Pizzaschachtel erzeugen. Bald wird man einen Watson als Wearable am Handgelenk tragen können. Das Stichwort „künstliche Intelligenz“ bekommt dann noch einmal einen neuen Schub. Man stelle sich vor: Ein Computer, mit dem man reden kann, der einen versteht und sinnvoll antwortet und der – laut einer Prognose von Ray Kurzweil, einem der bekanntesten Denker des Transhumanismus, der inzwischen bei Google tätig ist – in 20 bis 30 Jahren über das gesamte Wissen der Menschheit verfügen soll und dies dann auch weiß!

Natürlich wird es hierfür auch weitere Fortschritte im Bereich der Sensorik brauchen. Heute sind in einem fortschrittlichen Handy 40 bis 50 Sensoren verbaut, die alles mitbekommen, was man so tut. Dabei entstehen gewaltige Datenmengen, die auch ausgewertet werden könnten und zurzeit schon werden. Apple hat dazu gerade mit IBM einen Vertrag geschlossen, damit Watson die ständig von iPhones und iPads einlaufenden Daten auswertet. „Big Data“ ist eines der herausragenden Themen der Vernetzung. Noch ist offen, ob die rasant steigenden Datenmengen von Rechnerleistung und Speichertechnologie zügig bewältigt werden. In jedem Fall wird es vor allem darum gehen, wie man wesentliche Informationen intelligenter herausfiltert. Das betrifft übrigens nicht nur Unternehmen und Behörden, sondern vor allem auch die Anwender, die sich einer immer schneller zunehmenden Menge an Content im Internet gegenübersehen. Es wird immer schwieriger, in diesem anwachsenden Heuhaufen der Information noch die sprichwörtliche Nadel zu finden. Hier sind die Suchmaschinen-Anbieter gefragt.

Doch um gefunden zu werden, müssen alle Unternehmen ihre Inhalte im Rahmen des SEO, also der Suchmaschinenoptimierung, an die neuen Anforderungen anpassen.

Es verwundert wenig, dass Google angekündigt hat, in den nächsten Generationen der Suche eine deutliche Verbesserung der Algorithmen hinsichtlich der höheren Bewertung von Qualität der Inhalte realisieren zu wollen. Als Tochterunternehmen wird man hier wohl auch bei YouTube in eine ähnliche Richtung denken. Und als nächster Sprung steht ja bekanntlich eine perfektionierte semantische Suche an.

Sehen Sie weitere Veränderungen, welche die IKT für Unternehmen bringen wird?

Mal was eher Praktisches: Der 3D-Druck wird unsere Produktions- und Arbeitswelt nachhaltig verändern. Er ist eine Chance, die Kosten in der Industrie zu reduzieren. Hier werden in Deutschland und anderswo in der Konstruktion, Entwicklung und industriellen Fertigung erste Erfahrungen gesammelt. Dabei geht es nicht mehr nur um Kunststoffe. Auch einige Metalle lassen sich hochwertig im industriellen 3D-Druck verarbeiten. Kein Wunder also, dass Präsident Obama den 3D-Druck als eine Top-Priorität seiner Wirtschaftspolitik benannt hat. Sie sehen, dass es viele spannende Gebiete gibt, bei denen sich die Technologie rasend schnell verändert – und wir sind im Moment noch längst nicht am Ende der Fahnenstange angekommen. Die Zukunft bleibt spannend und es kommt noch einiges auf Unternehmer in Deutschland zu. Mit dem richtigen Know-how werden wir auch diese Herausforderungen bewältigen.

Über den Interviewpartner:

Ekkehart Gerlach baute den Bereich Elektronische Medien der Bertelsmann AG mit auf, war in der europäischen Geschäftsführung von Toshiba unter anderem. für Technologiestrategien und danach für Breitband und Multimedia bei der O.tel.o GmbH verantwortlich, dem Carrier von VEBA und RWE. Danach gründete er mit Unterstützung der Bertelsmann AG und dem Land NRW die deutsche medienakademie. Seit 2007 ist diese unabhängig und setzt sich mit einem breiten Angebot an Executive Workshops, Fachkonferenzen sowie Top-Level-Fach-Coaching für die Unterstützung von Führungskräften in Wirtschaft und Politik mit besseren und ausgewogenen Informationen und entsprechender strategischer Beratung ein.

 

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