100 Tage Bundesregierung: eco macht den Netzpolitik-Check

Letzte Woche war es soweit: 100 Tage ist die neue Bundesregierung nun im Amt. In digitalpolitischen Themen hat sich in dieser Zeit allerdings aus Sicht von eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. kaum etwas bewegt. eco kritisiert insbesondere, dass der Digitalpolitik angesichts ihrer Bedeutung für eine gelingende digitale Transformation im Rahmen der Regierungsarbeit keine höhere Priorität eingeräumt werde:

Im Wahlkampf war Digitales bei allen Parteien noch angesagt um modern und innovativ zu wirken. Jetzt sind wir wieder Nischenthema und eine zukunftsweisende, ressortübergreifende Gesamtstrategie – ähnlich der Digitalen Agenda aus der vergangenen Legislaturperiode – noch nicht in Sicht. Die Bundesregierung hat nach wie vor nicht verstanden, dass die Digitalisierung das Mega-Querschnittsthema unserer Zeit ist und eine durchdachte Digitalpolitik der Schlüssel zu wirtschaftlichem Wachstum, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit sowie nationaler Sicherheit. Was die Politik jetzt beispielsweise im Bereich Infrastrukturpolitik, Bildung und Forschung versäumt, wird kaum noch aufzuholen sein. Gerade angesichts der ungewöhnlich langen Phase der Regierungsbildung, müsste die Bundesregierung jetzt einfach mehr Gas geben.

Direkt nach der Bundestagswahl hatte eco in einem 5-Punkte Papier die aus Sicht der Internetwirtschaft dringendsten netzpolitischen Aufgaben für die neue Bundesregierung formuliert. Im Rahmen seiner 100-Tage Bilanz hat eco geprüft, was die Bundesregierung in diesen 5 Punkte bereits auf den Weg gebracht hat.

 

100-Tage Bilanz: Fünf Kernforderungen der Internetwirtschaft, gegenübergestellt mit der Digitalpolitik der Bundesregierung

1. Politischer Stellenwert des Digitalen Wandels: Mehr Relevanz für das Zukunftsthema Netzpolitik!

Die zentralen Fragen rund um das Thema Digitalisierung bedürfen einer Politik aus einem Guss. Daher fordert eco die Bündelung der netzpolitischen Zuständigkeiten in einem Ministerium sowie die Einrichtung eines federführenden Ausschusses im Bundestag.

Derzeit ist es nicht klar, ob es eine neue digitale Agenda geben wird. Die Zeichen dafür stehen eher schlecht. Aber der Koalitionsvertrag enthält viele politische Forderungen, die für die Relevanz digitaler Themen sprechen. Der Stellenwert der Internetpolitik ist grundsätzlich erkennbar. Institutionell spiegelt sich dies in einer zunehmenden Konzentration im Kanzleramt wieder, das eine Koordinierungsrolle übernimmt. Ob diese Form der Bündelung Erfolg bringen wird, ist derzeit unklar. Auch der Zuschnitt des Bundestagsausschusses Digitale Agenda ist gleichgeblieben, ohne Federführung. Beides fällt hinter die eco-Forderungen einer stärkeren fachlichen Bündelung zurück.

2. Digitale Wirtschaft & digitale Bildung: Digitale Transformation von Staat und Wirtschaft konsequent vorantreiben!

Die Bundesregierung muss die Entwicklung, den Einsatz und die Verbreitung digitaler Technologien in Deutschland endlich konsequent fördern und hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Das bedeutet konkret: kompromisslose Umstellung der öffentlichen Verwaltung auf eGovernment unter Einsatz von Cloud Computing und Blockchaintechnologien, intensive und unbürokratische Förderung der Digitalisierung kleiner und mittlerer Unternehmen, konsequente Anpassung des Bildungs- und Ausbildungssystems zur besseren Förderung von Digitalkompetenzen, Anbindung aller Schule an digitale Infrastruktur sowie eine innovations- und wettbewerbsfreundliche Regulierungspolitik.

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag das Thema Blockchain unter verschiedenen Aspekten gewürdigt – dessen grundsätzliche Bedeutung auch in Bezug auf e-Government erkannt. Gleichwohl bleibt unklar, wie eine Blockchainstrategie der Bundesregierung aussehen könnte. Es steht zu befürchten, dass primär restriktiv an die Sache herangegangen wird und reguliert werden soll. Dies würde einem zügigen Einstieg in die Nutzung der Technologien im Wege stehen. Positiv hervorzuheben ist, dass der Digitalpakt aus der letzten Legislaturperiode kommen soll und auf Grundlage des Onlinezugangsgesetzes (ebenfalls letzte Legislatur) die Digitalisierung nun entschlossener vorangetrieben werden kann.

Auch das Thema Künstliche Intelligenz (KI)  – ein weiteres wichtiges Zukunftsthema – wird eher zaghaft angegangen: KI wird im KoaV mit einem Zentrum und einem „Masterplan“ bedacht. Wann die Bundesregierung die Eckpfeiler einer KI-Strategie vorlegen wird und diese aussehen wird, ist noch nicht konkret bekannt. Aufgrund der Bedeutung von KI als Querschnitts- und Schlüsseltechnologie für Deutschland sollte die Bundesregierung diesen Meilenstein mit Priorität angehen. Im Parlament haben die Fraktionsvorstände von CDU/CSU und SPD die Einsetzung einer Enquetekommission vereinbart. Derzeit wirkt das Zusammenspiel von Bundesregierung, Ministerien und Parlament noch unkoordiniert. Unklar ist auch, wie die einzelnen Bausteine zueinander passen und sich zu einem „Masterplan“ fügen werden.

3. Recht & Unrecht im Internet: Der Staat darf sich bei der Verfolgung von Straftaten im Netz nicht aus der Verantwortung stehlen!

Hoheitliche Aufgaben, beispielsweise im Kampf gegen illegale und rechtwidrige Internetinhalte dürfen nicht auf Provider übertragen werden. Stattdessen muss die Bundesregierung hier die entsprechenden Ressourcen im Bereich Polizei und Strafverfolgung aufstocken. Das Prinzip „Löschen statt Sperren“ muss der politische Grundsatz beim Umgang mit illegalen Internetinhalten bleiben. eco fordert daher, das in der letzten Legislatur beschlossene und hochumstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz zurückzunehmen. Das Haftungsgefüge der eCommerce Richtlinie darf nicht ausgehöhlt werden. Außerdem muss das Urheberrecht sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene endlich neu gedacht und vollumfänglich reformiert werden.

Im Rahmen des NetzDG sind die Bußgeldleitlinien veröffentlicht worden und schreiben die Fehler des Gesetzes fort. Die Bundesregierung fördert damit eine wahllose Löschkultur im Netz. Auch die Ankündigung von mehr Ressourcen bei Polizeibehörden aus dem Koalitionsvertrag wartet noch auf Umsetzung. Auf EU-Ebene ist es der Bundesregierung im Rahmen der Urheberrechtsreform nicht gelungen, die Aushöhlung der eCommerce-Richtlinie im Rat der EU zu verhindern.

Das Innenministerium setzt sich zudem für eine EU-Initiative für Upload Filter gegen Terrorismus ein, die auch auf andere Inhalte erweitert werden soll. Aus Sicht der Internetwirtschaft ist das eine sehr bedenkliche Entwicklung. Uploadfilter würden de facto die Überwachung sämtlicher Verkehre mit sich bringen. Betrachtet man den hohen Stellenwert, den der Datenschutz sonst in Deutschland genießt, ist dies sehr bedenklich. Darüber hinaus würden, wie auch schon beim NetzDG durch die nicht ausgereifte Technologie so genannte „false positives“ dazu führen, dass Unschuldige unnötig ins Visier von Ermittlungsbehörden gelangen und die Meinungsfreiheit angegriffen wird. Solche Spillovereffekte schaden dem freien Internet. Um langfristig merkbare Erfolge gegen Straftäter zu erzielen, die sich des Mediums Internet bedienen, ist es unerlässlich, diese Täter ausfindig zu machen und sie mittels der zur Verfügung stehenden Instrumentarien zur Verantwortung zu ziehen. Bedauerlicherweise wird die unzureichende Durchsetzung der Strafverfolgung im Internet nicht angegangen.

4. Digitale Infrastruktur & Netze: Gigabitgesellschaft bis 2025 verwirklichen!

Ein rascher Ausbau der digitalen Infrastrukturen ist die wichtigste Grundvoraussetzung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. eco fordert daher, dass die Gigabitgesellschaft bis 2025 Realität werden muss. Unternehmen und Universitäten brauchen den direkten Anschluss an multi-gigabitfähige Netze und die direkte Anbindung an Glasfaserinfrastruktur. Die Bundesregierung muss digitale Infrastrukturen endlich als wichtigen Faktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland anerkennen und eine konsistente Strategie zur Stärkung des Rechenzentrumsstandorts Deutschland erarbeiten.

Bereits im Koalitionsvertrag bleiben hier viele Fragen insbesondere hinsichtlich Finanzierung und Anreizen marktgetriebenen Ausbau und Investitionen offen. Aus einem Anfang Juni 2018 vorgestellten Bericht des Europäische Rechnungshofs geht hervor, dass die Gigabitziele der Bundesregierung bis 2025 nicht zu verwirklichen sind. Nach wie vor ist die digitale Infrastrukturpolitik der Bundesregierung zu einseitig auf das Thema Breitband ausgerichtet. Leistungsfähige digitale Infrastrukturen umfassen neben bundesweitem Breitband-Internet auch zuverlässige und performante Internet-Austauschknoten sowie sichern und hochverfügbare Rechenzentren. Diese werden im Koalitionsvertrag leider gar nicht thematisiert. Das ist überraschend, angesichts der anspruchsvollen Wachstumsziele, die die Bundesregierung zuletzt im Koalitionsvertrag im Bereich Digitalisierung definiert hat. Fachkräftemangel, langwierige Genehmigungsverfahren und nicht zuletzt die hohen Stromkosten sind eindeutige Standortnachteile und eine Gefahr für den Digitalstandort Deutschland. Als Resultat der Untätigkeit der Bundesregierung haben die Unternehmen sich bereits proaktiv selbst zusammengeschlossen und die Politik im Rahmen einer unter dem Dach von eco neu gegründeten Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen in Deutschland zu einer zukunftsweisenden Standort- und Digitalpolitik aufgefordert.

5. Sicherheit & Vertrauen im Netz: IT-Sicherheit und Datenschutz europäisch regeln und nicht durch staatliche Überwachungsmaßnahmen konterkarieren!

Das Internet macht nicht an Landesgrenzen halt. Regelungen zur Durchsetzung von IT-Sicherheit und Datenschutz müssen daher auf europäischer Ebene und gemeinsam mit der Wirtschaft entwickelt werden. Nationale Sonderwege, beispielsweise bei Haftungsfragen, sind kontraproduktiv und schaden dem Standort Deutschland. eco fordert die Bundesregierung dazu auf, staatliche Überwachung und Zugriffe auf personenbezogene Daten auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung konsequent zu fördern, ohne Generalschlüssel und staatliche Backdoors. Das Offenhalten von Sicherheitslücken wie sogenannte Zero Day Exploits konterkarieren die Bestrebungen der Unternehmen zur Verbesserung der IT-Sicherheit, schwächen die Cybersicherheit und untergraben das Vertrauen der Nutzer ins Internet und in deutsche Internetunternehmen. Das in der letzten Legislaturperiode beschlossene Gesetz zur Wiedereinführung der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung muss zurückgenommen werden, ebenso die eingeführte Quellen-TKÜ mit Einsatz von Bundestrojanern.

IT-Sicherheit bleibt in der Debatte, europäische Regelung kommt.

Gerade vor dem Hintergrund, dass die Regulierung von IT-Sicherheit im Rahmen des EU Cybersecurity Acts auf europäischer Ebene kurz vor dem Abschluss steht, sind nationale Vorstöße nicht hilfreich. Auch die Überlegungen für ein neues IT-SG aufzulegen, wie sie im KoaV anklingen wirkt vor diesem Hintergrund problematisch.

Auch problematische StPO-Abschnitte zum Bundestrojaner sind nicht zurückgenommen worden. Klagen dazu werden fortgeführt. Beim Thema Vorratsdatenspeicherung ist leider kein politscher Handlungswille seitens der Bundesregierung erkennbar. Aus wirtschaftlicher Perspektive wäre es wichtig den aktuellen Schwebezustand rasch zu beenden. Die Bundesregierung überlässt das Thema jedoch lieber den Gerichten.

Die vollständige Internetpolitische Agenda mit insgesamt 30 Kernforderungen der Internetwirtschaft für eine moderne Netzpolitik ist hier online verfügbar.