04.10.2016

Thriller IANA-Transition nimmt gutes Ende

Worum geht es bei der IANA-Transition – ein Überblick

Wer bislang davon ausging, dass die Übergabe einer Datenbankfunktion nur für mittelmäßige Spannung sorgen kann, wurde in den letzten Tagen und Wochen eines Besseren belehrt. Am 1. Oktober um 0.00 Uhr Washington DC Zeit wurde die so genannte „IANA Stewardship Transition“ vollzogen – und die brachte alles mit sich, was einen guten Thriller ausmacht.

Die Gründung von ICANN und IANA

Da ist die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, kurz ICANN, die seit ihrer Gründung im Jahr 1998 unter anderem die zentrale Verwaltung des Domain Namen Systems (DNS) übernommen hat. Weil ICANN noch nicht erprobt war, wollte die US-Regierung – bis dahin war alles fest in US-Hand – zunächst für eine Übergangszeit eine Aufsicht über ICANN behalten und nach etwa zwei Jahren ICANN vollständig privatisieren.

Ein Vertrag zwischen ICANN und der Telekommunikationsbehörde NTIA des US-Handelsministeriums über die so genannte „IANA-Funktion“ regelte, dass ICANN den technischen Vorgang garantiert, dass mithilfe einer weltweit einheitliche Datenbank die sogenannten Zonefiles der Top-Level Domains – wie beispielsweise .de oder .com – gespeichert und verwaltet werden. Das „DNS Root Zone File“ ist ein zentraler Bestandteil des Domain Names System (DNS), womit IP-Adressen und Domain-Namen verknüpft werden, damit beim Aufruf einer Webadresse wie www.eco.de auch die entsprechende Website aufgerufen wird.

Hätte es jemals Anlass zur Beanstandung bei der Ausübung dieser Funktion gegeben, wäre die NTIA über diesen Vertrag in der Lage gewesen, Einfluss auf ICANN und die IANA-Funktion zu nehmen und zur Not diese für das Funktionieren des Internets essenzielle Funktion woanders erbringen zu lassen. Dieser Fall ist allerdings nie eingetreten. ICANN organisierte sich von Beginn an eigenverantwortlich als Multistakerholder-Institution mit Vertretern aus Wirtschaft, Regierungen, Zivilgesellschaft und dem akademischen Sektor.

Erste Schritte zur Privatisierung

Für die Bush-Administrationen war es allerdings keine Priorität, ICANN in die Unabhängigkeit zu entlassen. Erst im Zuge der Enthüllungen von Edward Snowden und der damit entbrannten Diskussion um die Rolle der USA als Überwachungsinstanz im Internet kam wieder Bewegung in die Sache. Einige Staaten drohten, sich aus dem weltweit funktionierenden Domain Namen System auszuklinken und national kontrollierte Netze zu schaffen.

Nun kam Präsident Obama in Spiel. So kündigte die US-Regierung im März 2014 an, den IANA-Vertrag mit ICANN unter bestimmten Auflagen auslaufen zu lassen. Dieser Vorstoß stieß weltweit überwiegend auf Zustimmung. Die Bedingungen waren, dass die ICANN-Community einen Vorschlag erarbeiten sollte, der einerseits die Sicherheit und Stabilität des Internets gewährleistet, sowie andererseits das Multistakeholder-Modell stärkt und Regierungen keine Kontrolle zubilligt.

Multistakeholder-Community erarbeitet Vertrag zur Selbstverwaltung

Dies gelang im März diesen Jahres beim 55. ICANN-Meeting in Marrakesch. Nach knapp zwei Jahren Arbeit, mehr als 200 Treffen und rund mehr als 32.000 E-Mails. Die ICANN-Community übergab der NTIA einen Vorschlag, wie die Organisation sich nach dem Auslaufen des Vertrags zukünftig selbst verwaltet. Mitten drin: Mathieu Weill (AFNIC), León Felipe Sánchez (Fulton & Fulton SC) und Thomas Rickert (eco Director Names & Numbers), die als Co-Chairs der Cross Community Working Group on Enhancing ICANN Accountability maßgeblich daran mitgearbeitet haben, dass ICANN sich zukünftig ohne dritte Kontrollinstanz selbst verwalten kann. Zudem im Rahmen der Erarbeitung der für den technischen Teil erforderlichen Vorschlage Wolf-Ulrich Knoben vom DE-CIX. Im folgenden August gab die NTIA grünes Licht für das von der ICANN-Community eingereichte Vertragspaket.

IANA-Transition wird zum Politikum

So weit so gut. Doch in den USA begann der Wahlkampf um die nächste US-Präsidentschaft und in solchen Phasen werden Dinge schnell symbolisch aufgeladen. Nach seiner gescheiterten Kandidatur als US-Präsidentschaftskandidat in den Vorwahlen der Republikaner suchte Senator Ted Cruz aus Texas nach einer neuen Bühne, um weiterhin im Rampenlicht zu stehen. Da kam ihm die anstehende IANA Transition gerade Recht: Schließlich stünden die Wahrung der Meinungsfreiheit und der Unabhängigkeit des Internets auf dem Spiel. Dass die IANA-Funktion keinerlei Einfluss auf die beiden noblen Ziele hat: egal.

Die in den vergangenen Wochen anberaumten Anhörungen im US-Senat erinnerten nicht wenige Beobachter an die berüchtigten Auftritte von Senator Joseph McCarthy in den 1950er Jahren. Ted Cruz stellte einige der vorgeladenen Personen, unter ihnen auch ICANN CEO Göran Marby, nicht nur öffentlich bloß, sondern drohte ihnen offen mit Strafverfolgung und dem Ende ihrer beruflichen Laufbahn. Besonders hatte er es dabei auf Larry Strickling abgesehen, welcher der NTIA im US-Handelsministerium vorsteht.

Der Showdown

Ted Cruz hatte die Absicht, über einen Eingabe in Verknüpfung mit der Verabschiedung des US-Haushalts für die kommenden drei Monate zu unterbinden, dass die US-Regierung Mittel zur Verwendung für die IANA Transition freigibt. Dazu kam es nicht.

Damit schien am vergangenen Donnerstag der Weg frei für die IANA Transition, da der Vertrag zwischen NTIA und ICANN über die IANA Funktionen in der Nacht von Freitag auf Samstag auslief. Doch ein guter Thriller hält seine Leser jedoch bis zur letzten Sekunde in Atem und für das große Finale war es noch zu früh. Daher wurden nun in letzter Minute in den US-Bundesstaaten Arizona, Texas, Oklahoma und Nevada Klagen gegen die NTIA und den Vollzug der IANA Transition eingereicht.

So mussten alle Beteiligten doch nicht bis Freitagabend ausharren, um zu erfahren, ob eine einstweilige Verfügung die IANA Transition doch noch vor dem 1. Oktober aufhält oder ob die Klagen abgewiesen werden. Die ICANN-Community nutze die Zeit, um unter dem Hashtag #yestoIANA und mit Stellungnahmen wie dem Amicus Brief, unermüdlich für die Umsetzung der Transition zu werben. Um 16:30 Uhr Ortszeit in Texas kam dann die Gewissheit: Das Gericht in Texas wies die Klagen ab, womit die Transition in der kurz darauf folgenden Nacht vollzogen wurde.

Wenn sie sich als Internetnutzer gerade fragen, ob sie davon nicht etwas hätten merken müssen: Nein, es hat sich nichts verändert. Das Internet funktioniert wie zuvor. Das ist nicht nur ein gutes Zeichen für den erfolgreichen Verlauf der IANA Transition. Es ist vielmehr der Beginn eines neues Kapitels in der Geschichte des Multistakeholder-Modells, welches die Selbstverwaltung der Ressource Internet fortschreibt. Nur mit dem Unterschied, dass diese Geschichte sich weniger wie ein Thriller, sondern vielmehr wie eine klassische Erfolgsgeschichte liest, aber trotzdem nicht weniger spannend ist.