07.03.2025

Parallelbetrieb von IPv6 und IPv4 langfristig keine Option 

Seit etwa 10 Jahren ist IPv6 auf Protokollebene auf dem Vormarsch. Doch was braucht es, damit IPv6 das alte Protokollstandard nicht nur überholt, sondern auch vollständig ablöst? Antworten rund um IPv6 gibt Wilhelm Boeddinghaus, CEO Route 128 GmbH und eco Netz-Experte, im Interview. Am 13. März 2025 bietet der eco IPv6-Workshop in Berlin weitere Möglichkeiten zur Diskussion.   

Was macht die vollständige Umstellung auf IPv6 unverzichtbar? Auch aus wirtschaftlicher Sicht? 

Wilhelm Boeddinghaus: Die vollständige Umstellung auf IPv6, und damit die Abschaltung von IPv4, bleibt das große Ziel der IPv6-Migration. Würden wir am „Dual Stack“ – also dem Parallelbetrieb –festhalten, ginge das Projekt nur die halbe Strecke – und da der Parallelbetrieb teuer und aufwändig ist, sollte dieser vermieden werden. Das liegt daran, dass in einem solchen Fall Firewall-Regeln für beide Protokolle gepflegt werden müssen und auch das Monitoring beide Protokolle abdecken muss. Bei einer Fehlersuche ist dann oft nicht klar, welches der Protokolle die Ursache für die Probleme ist – die Suche nach dem Fehler wird deutlich komplexer. 

Wer also moderne Netzwerke betreiben will, sollte diese heute mit IPv6 bauen und IPv4 so langsam abschalten. Klare und übersichtlich strukturierte Netzwerke sind mit IPv6 wesentlich leichter zu bauen, zu betreiben und abzusichern als mit IPv4. Das Stichwort Mikrosegmentierung fällt hier immer wieder. Ein gut unterteiltes Netzwerk bietet Schutz von Angriffen und lässt sich kostengünstig betreiben. Denn es reduziert die Komplexität, benötigt weniger Personal und minimiert so auch mögliche Fehler. Von diesem Vorteil kann aber nur profitieren, wer IPv4 vollständig aus den Netzwerken entfernt. 

Warum hat sich der Übergang von IPv4 zu IPv6, seit Veröffentlichung 1998, so lange hingezogen? Und was sind die wichtigsten Treiber für den zunehmenden Einsatz? 

Bei der Entwicklung von IPv6 unterlagen die Ingenieure der Fehleinschätzung, dass alle Behörden und Unternehmen die technischen Vorteile von IPv6 erkennen und in Scharen umstellen. Dabei wurde unterschätzt, dass diese Organisationen sehr Business-getrieben sind und ohne direkten monetären Vorteil kein IT-Projekt anfassen. Unternehmen fragen sich schließlich bei jeder Investition, wie sich diese auf Umsatz und Ertrag auswirkt. An der Stelle hatte IPv6 lange zu wenig Vorteile. Wir liegen daher weit hinter den Erwartungen zurück. 

In Deutschland haben etwa 75 Prozent der Enduser IPv6 zur Verfügung. Da bietet es sich für Unternehmen an, mindestens den Webserver mit IPv6 zu ertüchtigen und so den Kunden den bestmöglichen Zugriff auf die eigenen Dienste zu ermöglichen. Inzwischen kostet IPv4 Geld, z.B. in der AWS Cloud. Das schafft einen zusätzlichen Anreiz, IPv6 zu nutzen und so Kosten zu reduzieren. 

Welche Branchen oder Länder sind bereits Vorreiter bei der Umstellung auf IPv6? Wo steht Deutschland? 

Es gibt einige Länder, die aktiv die Durchsetzung von IPv6 fördern. Dazu zählt neben Deutschland die Tschechische Republik und Vietnam. Auch die US- Regierung unterstützt IPv6 in ihren Behörden. 

Die meisten Service Provider und Mobilfunk Provider haben schon lange IPv6 in ihren Netzwerken und sind hier Vorreiter. In Deutschland hat der Bund ein IPv6-Programm aufgelegt und kümmert sich aktiv um die Einführung von IPv6. Leider sind die Aktivitäten bei mittleren und kleineren Unternehmen noch nicht so stark ausgeprägt, wie man sich das wünschen würde. 

Was empfehlen Sie Unternehmen, die den Übergang zu IPv6 noch nicht abgeschlossen haben? 

IPv6 ist eine Aufgabe für die gesamte IT, nicht nur für das Netzwerk. Besonderes Augenmerk muss auf die Applikationen gelegt werden – häufig beherrschen diese noch kein IPv6. Zudem kann eine Umstellung auf IPv6 kann nur gelingen, wenn die IT-Mitarbeitenden gut geschult sind und IPv6 verstehen. Daher sollte viel Wert auf Trainings, Testlabore und Selbststudium gelegt werden. Dafür muss die Geschäftsleitung Budget bereitstellen. 

Es hat sich bewährt klein anzufangen. Eine erfolgreiche Umstellung eines Teilbereiches der IT ist ein erster Erfolg und zeigt, dass IPv6 funktioniert und den Betrieb nicht stört.  

Was muss sich tun, damit IPv6 den alten Standard vollständig ablöst? 

Ob IPv4 je vollständig verschwindet, darf bezweifelt werden. Es gibt zu viele IoT-Geräte, die sehr langlebig sind und nur IPv4 beherrschen. Aber diese Geräte sollten zumindest so gekapselt werden, dass IPv4 in der Fläche abgelöst wird. 

Ich bin aber überzeugt: Sobald bekannter ist, dass IPv6 Kosten spart, Geld einbringt oder die IT-Sicherheit erhöht, wird IPv6 das alte Protokoll IPv4 langfristig flächendeckend ablösen. Auch da der Parallelbetrieb von IPv4 und IPv6 schlicht zu teuer ist, werden die Unternehmen von selbst danach streben, IPv4 außer Betrieb zu nehmen. 

 

Wie hat sich die Akzeptanz des neuen Protokolls im Vergleich zu 2023 entwickelt? Braucht es ein erklärtes Datum, ab welchem IPv6 als Default gilt? Für alle, die tiefer in das Thema Umstieg auf IPv6 eintauchen möchten, lohnt sich eine Teilnahme am IPv6-Workshop des eco: am 13. März 2025 in Berlin.  

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