30.04.2025

Zukunftssichere Rechenzentren: Effizienz, Skalierbarkeit und Nachhaltigkeit im Fokus

Rechenzentren sind das Rückgrat der digitalen Welt – und ihre technische Infrastruktur muss mit wachsenden Anforderungen Schritt halten. Doch welche Weichen müssen Betreiber jetzt stellen, um langfristig effizient, ausfallsicher und flexibel arbeiten zu können? Karsten Paeth, Marketing & Sales Director Central Europe bei ABB, gibt im Gespräch mit eco Einblicke in aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze – und erklärt, worauf Betreiber schon heute achten sollten, um für die nächsten zehn Jahre optimal aufgestellt zu sein. Beim eco Data Center Expert Summit am 5. & 6. Mai wird er die Keynote "Starke Infrastrukturen als Enabler für zukunftssichere und skalierbare Data Center" halten.

 

Was sind für ABB die zentralen Herausforderungen und Treiber für zukunftssichere Rechenzentren?

Im energiewirtschaftlichen Dreieck mit den Eckpunkten Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit ist bei Rechenzentren durch die Höchstanforderungen im Bereich der Versorgungssicherheit ebendieser Punkt auch für die Zukunft bereits gesetzt. Als Lösungsanbieter in der Energieinfrastruktur von Rechenzentren ist es daher unsere zentrale Aufgabe, die steigenden Anforderungen an Effizienz und Nachhaltigkeit – die vom Energieverbrauch im Betrieb bis zu Produktregulatorien reichen – wirtschaftlich umzusetzen. Dies muss in einem Markt geschehen, der aufgrund des exponentiellen Wachstums von Daten und der zunehmenden Nutzung von Cloud-Diensten langfristig ein hohes Wachstum aufweist und daher auch technisch den Spielraum für Zukunftsinvestitionen an einem Standort bedingt. Um diesem Gesamtkontext gerecht zu werden, betrachten wir die Netzinfrastruktur hinsichtlich ihrer künftigen Erweiterbarkeit, entwickeln Konzepte, mit denen die redundanten Strukturen skalierbar zu realisieren sind, und lassen Nachhaltigkeitsziele so in unsere Produktentwicklung einfließen, so dass bei Herstellung wie im Betrieb der verwendeten Produkte die CO₂-Emissionen größtmöglich reduziert werden.

Welche Infrastrukturkomponenten sind aus Ihrer Sicht entscheidend für Skalierbarkeit und Ausfallsicherheit?

Ein möglicher Vorteil von Skalierbarkeit ist unter anderem die Erweiterung mit etablierten Konzepten in einem Zusammenschluss, so dass Redundanz und Ausfallsicherheit erhöht werden. Hierzu ist bereits in einem frühen Stadium eine Netzbetrachtung notwendig. So können zum Beispiel durch den Zusammenschluss skalierbarer Lösungen Kurzschlussströme möglich werden, die im Einzelsystem in entsprechender Höhe nicht vorhanden sind. Durch Einsatz entsprechender Betriebsmittel können solche Zustände soweit eingegrenzt werden, dass die darunter gelagerten Betriebsmittel im Hinblick auf ihre Leistungsgrößen Strom, Spannung und Kurzschlussstrom standardisiert werden können – unabhängig vom Anschlussort. Dies ermöglicht im Mittelspannungsnetz replizierbare Lösungen, die im Zusammenschluss mit Niederspannungsschaltanlagen, Transformatoren und USV-Anlagen in Form von Skids, Kompaktstationen oder E-Houses fabrikfertig vordesignt werden können. Dadurch können diese Energieinfrastrukturkomponenten in bedarfsgerechter Stückzahl mit definiertem Engineering und verkürzter Herstelldauer produziert werden, und sind zugleich im Falle einer Störung maximal geschützt – die Ausfallzeiten werden so minimiert.

Welche technischen Anforderungen bringt die zunehmende Modularisierung von Rechenzentren mit sich – und wie wirkt sich das auf die Infrastrukturplanung aus?

Modularisierte Lösungen, wie die zuvor angesprochenen Skids, CSS- oder E-Houses, werden heute im Datacentermarkt bereits viel verwendet. Hier handeln die Rechenzentrenkunden im Vergleich zu vielen anderen Industrien schon sehr vorausschauend, weswegen diese Lösungen oftmals bereits sehr ausgereift sind. Grundlage für den Einsatz von pre-engineerten Modulen ist eine frühzeitige Klärung zwischen Kunde und Hersteller, wie das Rechenzentrumskonzept und künftige Planungen aussehen. Dadurch können die in den Modulen verwendeten Betriebsmittel optimal für den aktuellen und künftigen Stand ausgewählt werden. So kann der erhöhte Leistungsbedarf durch die Erhöhung von Spannung oder Strom realisiert werden – und damit einhergehend die Auswahl von Primär- oder Sekundärschaltanlagen in den Modulkonzepten. Hier kann auch die in der Infrastrukturplanung wichtige, bereits zuvor angesprochene Kurzschlussstrombetrachtung Einfluss nehmen.

Was sind typische Schwachstellen im laufenden Betrieb, wenn es um die Energie- und Versorgungsinfrastruktur geht?

Am häufigsten entstehen Fehler bereits während der Installationsphase, oder werden im Zuge der Bedienung ausgelöst. Insofern kann jede Hilfe von Vorteil sein, die den Menschen bei Errichtung und Betrieb von Rechenzenten unterstützt. Ganz simpel, und seit Jahrzehnten bewährt, ist da beispielsweise die Verwendung von Bussystemen bei der Signalübertragung. Während dies in der Industrieautomatisierung bereits ein Standard ist, wird insbesondere in der Mittelspannung, auch in Rechenzentren, noch häufig auf Direktverdrahtung zurückgegriffen, die mehr Spielraum für Fehler zulässt. Auch Condition Monitoring kann helfen, Schwachstellen zu erkennen, bevor sie relevant werden: Rechenzentren stellen eine eher konstante Last dar (verglichen zu Industrieprozessen, wo Lasten aufgrund des Anlaufs von Motoren größeren Schwankungen mit hohen Spitzen unterliegen). Trotzdem kann ein Leitsystem bei der Auswertung von Betriebsdaten frühzeitig alarmieren. Schließlich haben Rechenzentren eine dauerhaft hohe Leistungsaufnahme und damit verbundene Verlustwärme, so dass eine frühzeitige Erkennung von Zuständen, die über den normalen Zustand hinausgehen (können), die Verfügbarkeit erhöht. Die künftige Entwicklung von KI-Rechenzentren, bei der im Zuge des Lernprozesses der KI die Schwankungen in der Leistungsaufnahme auch größer werden können, macht einen verstärkten Einsatz von Predictive Maintenance Systemen zusehends interessant.

Wie gehen Sie in der Praxis mit dem Spannungsfeld zwischen Wartungsfreundlichkeit und maximaler Verfügbarkeit um?

Eigentlich ist der Widerspruch auf den ersten Blick gar nicht so groß. Beispielsweise in der Mittelspannung, wo bei den Primäranlagen in Rechenzentren vornehmlich luftisolierte Schaltanlagen eingesetzt werden, während auf der Sekundärebene häufig gasisolierte Anlagen zum Einsatz kommen, die sich wartungstechnisch unterscheiden: In beiden Systemen ist es prinzipiell das Beste, wenn man einerseits wüsste, worauf genau man bei der Wartung den Fokus legen soll, und dass sie andererseits im Fehlerfall so wenig wie möglich belastet werden, um eine rasche  Wiederzuschaltung zu ermöglichen. Letzteres kann man unter anderem durch den Einsatz von Schnellerder-Systemen erreichen, die im Kurzschlussfall in wenigen Millisekunden abschalten und die Belastung der Gesamtanlage auf ein Minimum reduzieren. Bei der präventiven Wartung hingegen gibt es in der Tat ein Spannungsfeld – und dies nicht nur in Rechenzentrenapplikationen. Jedem intelligenten Algorithmus liegt zugrunde, dass er zur Beurteilung der Betriebszustände entsprechende Sensoren zur Datenerfassung sowie eine Auswertetechnik benötigt – sprich: Elektronik. Nun ist Elektronik, verglichen mit der konventionellen Elektromechanik der Mittel- oder Niederspannungstechnik, per se fehleranfälliger und bedingt einen früheren Austausch als die elektromechanischen Elemente. Dies ist bereits aus der Relaistechnik bekannt. Der Trade-off, den Hersteller und Kunde künftig verstärkt zu evaluieren haben, wird sein, wieviel mehr Betriebsdaten und damit verbundene Handlungsunterstützung und Anlagenverfügbarkeit man erhalten kann, während das Unterstützungssystem selbst eine weitere mögliche Ausfallquelle darstellt. Hier sind also Konzepte gefordert, die den Vorteil bieten, und den Nachteil dadurch eliminieren, dass sie zum einen bei Ausfall zwar keine Wartungsdaten mehr liefern, aber keine Auswirkung auf den eigentlichen Anlagenbetrieb haben. Zum anderen sollten sie leicht turnusmäßig, beispielsweise in einem ähnlichen Intervall wie die Relaistechnik, geupgradet werden können.

Wie gelingt es, starke Infrastrukturen mit Nachhaltigkeitszielen zu vereinen?

Hierzu fallen mir spontan vier Punkte ein: Zum einen durch den Einsatz nachhaltig designter Produkte wie verlustarmer Transformatoren oder luftisolierter Schaltanlagen. Zum anderen lässt sich durch ein gezieltes Downsizing des Systems Material einsparen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Nutzung intelligenter und flexibler digitaler Systeme – etwa durch den Einsatz von Sensoren anstelle konventioneller Wandler – die sowohl Materialverbrauch reduzieren als auch mehr Flexibilität ermöglichen. Schließlich trägt auch die aktive Fehler-Prävention, etwa durch Predictive Maintenance oder den Einsatz von Schnellerdern, dazu bei, Schädigungen an den Anlagen frühzeitig zu vermeiden.

Welche langfristigen Infrastrukturentscheidungen müssen Betreiber heute treffen, um in 10 Jahren nicht in der Sackgasse zu landen?

In dieser Frage werden eigentlich die zuvor genannten Punkte noch einmal schön zusammengefasst. Ein durchdachtes System sollte mehrere zentrale Anforderungen erfüllen: Zum einen ist es wichtig, dass das System erweiterungsfähig bleibt und die eingesetzten Module auch bei einem hochskalierten System weiterhin technisch verwendet werden können. Dafür ist die Kenntnis der aktuellen sowie potenziell zukünftigen Netztopologie unerlässlich. Darüber hinaus sollte das Design möglichst standortunabhängig gestaltet sein. Schließlich empfiehlt sich eine ausgewogene Kombination aus technisch bewährten und innovativen Technologien – so lassen sich Anlagenverfügbarkeit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit langfristig optimieren.

Vielen Dank für das Interview!
Portrait Karsten Paeth (Quadrat)