eco
21.12.2021

Wer sich Toleranz leisten will, muss robust sein

Toleranz kann, wie ich in letzter Zeit sogar in unserer weltoffenen Heimatstadt Köln öfter höre, ganz schön anstrengend sein. Vor allem in Krisenzeiten, wenn die Belastbarkeit sinkt und Schaden droht oder sogar schon eingetreten ist, fällt es nicht immer leicht, tolerant zu bleiben. Auch Vielfalt kann anstrengend sein: Wie es aussieht, wenn sich Deutschlands Ministerpräsident:innen mitten in einer während des Wahlkampfes stattfindenden Pandemie auf schnelles und schlüssiges Handeln zu einigen versuchen, haben wir alle erlebt. Und da waren es nur 16 Stimmen, die gehört werden wollten – und nicht an die 200 wie beim Gipfel in Glasgow, wo die Zukunft des Klimas verhandelt wurde.

Vielfalt ist auch beim eco Thema. Mit inzwischen mehr als 1.100 Mitgliedern sind wir der größte Verband der Internetwirtschaft in Europa. Auch und gerade in der Krise bleiben wir weiter auf Wachstumskurs, wie auch das Internet – obwohl es längst immer und überall ist – stetig weiterwächst. Zum Glück erlebe ich die Art von Vielfalt, die wir dank unserer Mitglieder unterschiedlichster Couleur haben, keinesfalls als hinderlich. Das mag teilweise an der speziellen Kultur liegen, die unsere Karrieren für viele von uns – immer mehr auch für weibliche – Tecchies so attraktiv macht. Vor allem aber liegt das sicherlich daran, dass wir bei allen Unterschieden doch das gleiche Ziel verfolgen: Wir wollen uns auf das Internet verlassen können.

Verlässlichkeit erfordert Toleranz gegenüber Fehlern

Das bringt mich zur Toleranz – auch im Jahr 2021 ein für eco wichtiges Thema. Wobei wir Architekt:innen und Maschinist:innen des Internets, wenn es um Toleranz geht, in der Regel einen eher technischen Ansatz verfolgen: Ein verlässliches Internet ist ein fehlertolerantes Internet. Von den ersten Verbindungen an war daher der Grundgedanke das dezentrale Design. Daten müssen fließen, auch wenn einzelne Knotenpunkte oder Verbindungen ausfallen. Wenn das Internet, Stand heute, aus rund 55.000 autonomen Teilnetzen besteht, darf schon mal das ein oder andere ausfallen, ohne dass gleich der weltweite Datenverkehr zum Erliegen kommt.

Aber Redundanzen allein reichen nicht. Um verlässlich zu funktionieren, muss das Internet robust und resilient gegenüber vielen Arten von Gefahren sein. Cyberexpert:innen sahen 2021 wenig Anzeichen für eine Entspannung der Bedrohungslage. Viele der Probleme wie Verschlüsselungstrojaner sind bekannt und auch an Security-Lösungen und Initiativen herrscht kein Mangel. Dennoch sahen 2021 57 Prozent der von eco befragten Expert:innen die deutsche Wirtschaft unzureichend aufgestellt und 77 Prozent rechnen mit einer wachsenden Bedrohungslage.

Gefahren für die Verlässlichkeit des Internets gehen nicht nur von Kriminellen aus. Auch Behörden versuchen, wenngleich anders motiviert, oft auf ganz ähnlichen Wegen, Daten abzugreifen, sei es mit einem Staatstrojaner oder der Vorratsdatenspeicherung. Unsere Haltung als Verband der Internetwirtschaft ist klar: Will sie nicht das Vertrauen in die digitale Kommunikation verspielen, muss die Politik hier die Reißleine ziehen.

Robuste Basis als unabdingbare Grundvoraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg

Eine gegenüber Fehlern und Angriffen tolerante, weil robuste und sichere IT-Infrastruktur ist in der datengetriebenen Wirtschaft unabdingbare Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg. Mit Gaia-X arbeiten wir an einer Plattform, die Unternehmen und anderen datenverarbeitenden Organisationen deutlich mehr bietet als das. Wir entwickeln mit Gaia-X eine föderierte Dateninfrastruktur mit Fokus auf Datensouveränität und Datenverfügbarkeit, basierend auf europäischen Standards und Werten, mit dem Ziel, Innovation in Europa zu fördern.

Seit Anfang 2021 ist eco bei dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit rund 13,5 Millionen Euro geförderten Projekt für das Projektmanagement verantwortlich. Seither geht es mit großen Schritten voran: Im Mai konnten wir die Spezifikation der ersten vier Gaia-X Federation Services abschließen und im Dezember starteten wir die Implementierungsphase. Außerdem habe ich die Ehre, als vorläufiger CFO für Gaia-X das Budget für 2020/2021 entwickelt zu haben und in das Board gewählt worden zu sein.

Die Idee einer digitalen Infrastruktur, die auf europäischen Werten basiert und unserer Wirtschaft dabei hilft, das gesamte Potenzial der digitalen Innovationen zu nutzen, wird oft als visionär beschrieben. Auch ich habe Gaia-X schon so genannt, vor einem Jahr an dieser Stelle, vor allem aber während der Anfangseuphorie, die nicht nur mich, sondern eigentlich alle Beteiligten beflügelt hat. Inzwischen sehe ich die Sache etwas nüchterner. Für mich ist Gaia-X nicht mehr ein visionäres Moonshot-Projekt. Für mich ist es mittlerweile eine dringend notwendige Investition, um im globalen Wettbewerb überhaupt mithalten zu können.

Größere Infrastrukturen haben einen größeren Hebel

So sehr wir uns auch 2021 wieder darüber freuen können, was wir zusammen – auch in Zeiten, in denen wir uns vor allem virtuell begegneten – gestemmt haben, sollten wir uns nichts vormachen. Bei der digitalen Transformation unseres Standorts ist noch einiges aufzuholen. Die neu angetretene Bundesregierung hat zwar nicht das von uns und vielen Vertretern der digitalen Wirtschaft seit Langem ersehnte Digitalministerium geschaffen. Aber im Koalitionsvertrag erkennen wir das klare Bekenntnis zum Aufbruch.

Dabei geht es auch um die Verknüpfung der Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Klar ist, große Rechenzentren verbrauchen viel Strom. Damit tragen sie besonders viel Verantwortung für das Klima, haben aber auch besonders großen Einfluss. Den gemeinsam zu nutzen, haben sich unter Führung der von eco initiierten Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen in Deutschland 25 Unternehmen und 17 Verbände aus ganz Europa verpflichtet, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um Rechenzentren bis 2030 klimaneutral zu gestalten.

In Frankfurt, Internet-Hauptstadt Europas und Sitz des weltweit größten Internetknotens nach Datendurchsatz DE-CIX, gehen wir sogar noch einen Schritt weiter: Dort unterstützen wir ein geplantes Leuchtturmprojekt des Bundesumweltministeriums „DC-HEAT“ zur Förderung von Abwärmenutzung in Rechenzentren durch künstliche Intelligenz. „2030 könnte Frankfurt einen Großteil des Wärmebedarfs über Abwärme decken“, so das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit.

Klingt für mich nach einer Vision, deren Umsetzung gegenüber ich sehr tolerant wäre. Für 2022 wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben alles Gute – und achten Sie darauf, dass Sie robust genug sind, um tolerant bleiben zu können.

Harald Summa