17.02.2021

Im Gespräch mit Jutta Horstmann, Chief Operating Officer, eyeo

Es gibt tausende gute Gründe, warum die Internetwirtschaft weibliche Verstärkung braucht. Schließlich stehen zahlreiche Jobangebote dem Fachkräftemangel gegenüber oder aber homogene Teams und Denkweisen Innovationen im Wege. Die Digitalbranche boomt, täglich entstehen neue digitale Geschäftsmodelle und schaffen lukrative Jobs, doch die lassen sich Frauen noch zu häufig entgehen. Wir wollen das ändern. In unserer Serie „Frauen in der Tech-Branche“ kommen inspirierende weibliche Fach- und Führungskräfte der Internetbranche zu Wort. Dabei sprechen wir über die wirklich wichtigen Themen: von Entwicklungsperspektiven über Karrieretipps und Zukunftswünsche bis hin zu den Herausforderungen in einem männerdominierten Arbeitsumfeld und warum Arbeit in der Internetbranche Spaß macht. Diesmal mit: Jutta Horstmann, Chief Operating Officer, eyeo

 

Wie gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag als Chief Operating Officer bei eyeo und was ist das Spannendste und Schönste an Ihrem Job?

Jutta Horstmann: Als COO bin ich bei eyeo für die Organisationsentwicklung von eyeo als agiles Softwareunternehmen mit Remote-Standorten auf der ganzen Welt verantwortlich. Wir sind in den letzten zwei Jahren stark gewachsen und immer mehr Standorte und Zeitzonen sind dazugekommen. Zu meinen Aufgaben gehört zum Beispiel sicherzustellen, dass die gesamte Infrastruktur des Unternehmens in diesem Prozess mitwächst und das Wachstum auch abbilden kann.

Das Spannendste und Schönste für mich ist es eine Organisationsstruktur und -infrastruktur aufzubauen, die die grundlegenden Voraussetzungen für den Unternehmenserfolg schafft. Dazu gehört eine ausgeklügelte IT-Infrastruktur, die aus einem zentralen Work Tracking System, einem Wissensmanagement Tool, Intranet und einem Company Chat Tool sowie einem Digital Whiteboarding Tool besteht. Dass wir unsere Infrastruktur ständig weiterentwickeln ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass wir sehr gut durch die Coronakrise gekommen sind. Die Umstellung auf 100 % Homeoffice ging bei uns sehr schnell und ohne Zwischenfälle vonstatten.

 

Als Sie in den 90er Jahren ihre ersten Schritte als Entwicklerin in der Open Source Community gemacht haben, waren Sie häufig die einzige Frau. Was sind Ihre Erfahrungen aus der Arbeit in einem männerdominierten Umfeld? Und wo stehen wir aus Ihrer Sicht heute im Bereich Frauen in Tech?

Horstmann: Ich denke, wir haben seit den 90er Jahren sicherlich einige Fortschritte gemacht, damals war ich oft die einzige Frau auf vielen Veranstaltungen. Heute kommt das zum Glück viel seltener vor und bei eyeo bemühen wir uns auch sehr mit gutem Beispiel voranzugehen, aber die Tech-Branche hat hier noch einen langen Weg vor sich. Nach wie vor existiert der Gender Pay Gap und es gibt viel zu wenige Frauen in Führungspositionen, um nur zwei Probleme zu nennen. Darum ist es umso wichtiger, dass wir Frauen in Führungspositionen dieses Thema vorantreiben und ihm zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen.

 

Sie engagieren sich stark für die Themen Frauen in Tech und Frauen in Führung. Als Initiatorin von “female leadership at eyeo” sind Sie dafür verantwortlich, dass mittlerweile 50% der Führungspositionen bei eyeo mit Frauen besetzt sind. Wie kam es zur Initiierung des Programms und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Horstmann: 2006 habe ich mein eigenes Unternehmen für Software-und Datenbankentwicklung gegründet, dabei habe ich mir das Ziel gesetzt 50% weibliche Mitarbeiterinnen einzustellen und konnte das auch verwirklichen. Eine weibliche CEO zu haben war hier unglaublich hilfreich. Als ich mich 2017 entschied zu eyeo zu gehen war mir klar, dass ich die Aufgabe mehr Frauen in Leadership Positionen zu bringen hier fortführen möchte. 2020 haben wir nun auch bei eyeo die 50 Prozent Marke geknackt worauf ich sehr stolz bin. Dieser Meilenstein zeigt, dass sich mit den richtigen Instrumenten diese Erfolgsgeschichte wiederholen lässt.

 

In der Coronakrise haben Sie bei eyeo das Corona Family Care Programm initiiert, um Eltern zu unterstützen. Was verbirgt sich dahinter und was war Ihre Motivation dazu, als Arbeitgeber Eltern derart großzügig unter die Arme zu greifen?

Horstmann: Corona Family Care bedeutet, dass Eltern in der Coronakrise stunden- oder tageweise Familienzeit nehmen können. Corona-Familienzeit wird nicht vom Gehalt oder den Urlaubstagen abgezogen. Uns war wichtig den Eltern größere Flexibilität zu ermöglichen, gleichzeitig muss aber auch die Arbeit in den jeweilige Teams funktionieren. Deshalb muss Corona Family Care nicht beantragt oder genehmigt werden, die Abwesenheit muss allerdings im Team transparent gemacht und dokumentiert werden.

Ich sehe die Geschäftsführung eines Unternehmens hier in der Pflicht ihren Mitarbeiter*innen ein Arbeitsumfeld zur Verfügung zu stellen, in dem ihre mentale und körperliche Gesundheit und natürlich auch ihre Arbeitskraft nicht beeinträchtigt wird. Auch wirtschaftlich ist es sinnvoller, dass sich die Kolleg*innen ausgeruht und mit freiem Kopf auf ihre Arbeit konzentrieren können. Ich bin überzeugt, dass zufriedene Mitarbeiter*innen auch motivierte Mitarbeiter*innen sind und ich denke die positive Entwicklung des Unternehmens im letzten Jahr bestätigt das.

 

Sie setzen sich bei eyeo für Frauen in Leadership, sind Speakerin zum Thema Frauen und Führung und stehen als COO an der Unternehmensspitze. Welchen Tipp möchten Sie Frauen mitgeben, die eine Führungsposition anstreben oder gerade in die Führungsrolle hineinwachsen? Und welchen Tipp haben Sie andererseits für Unternehmen, die Vielfalt im Aspekt Gender in ihre Chefetagen bringen wollen?

Horstmann: Schaffen Sie in Ihrem Unternehmen Rahmenbedingungen, die vielfältigen Lebensentwürfen Rechnung tragen. Das kann ganz unterschiedliche Ausprägungen haben zum Beispiel mehr Homeoffice oder flexiblere Arbeitszeiten. Wenn Sie nicht wissen, wo Sie anfangen sollen, sprechen Sie mit den Menschen in Ihrem Unternehmen, die nicht den klassischen Informatiker mittleren Alters repräsentieren und fragen Sie, was Ihnen helfen würde. Setzen Sie sich verbindliche Ziele, denn die ausgetretenen Pfade zu verlassen kann am Anfang unbequem und ungewohnt sein. Bekennen Sie sich auch nach außen zu Ihrem Ziel und zeigen Sie Ihre Role Models. Diversen Führungskräften in Ihrem Unternehmen eine Bühne zu bieten ermutigt nicht nur junge Frauen und Mädchen diesen Weg einzuschlagen, sondern wird auch mehr Frauen zu Bewerbungen motivieren.

Der wichtigste Rat, den ich jungen Frauen mitgeben möchte, ist: Sei mutig! Eine gute Führungskraft zu sein hat nichts Unweibliches an sich, ganz im Gegenteil! Zu führen ist eine der ureigensten weiblichen Eigenschaften, wir sollten sie besetzen und uns zu eigen machen. Frauen müssen nicht nach den Regeln eines Systems spielen, das sie nicht ausreichend mitdenkt. Wir haben die Macht dieses System zu verändern und sollten sie nutzen.

 

Peter Janze, Geschäftsführer digital@M, hat uns als #Heforshe Unterstützer in unserem letzten Interview folgende Frage für Sie mitgegeben: Eine paritätisch besetzte Doppelspitze finde ich eine interessante Möglichkeit, Unternehmen in die Zukunft zu führen und auch den Vielfaltsgedanken an ganz zentraler Stelle zu verankern. Wie kann man dieses Modell zum Erfolg führen?

Horstmann: Ich halte das für einen sehr guten Ansatz und wir führen auch bei eyeo immer grundsätzlich als Team. Um als Leadership-Team erfolgreich zu sein, braucht es gute und offene Kommunikation, Kompromissbereitschaft und gegenseitiges Vertrauen.


Wir möchten auch gerne Ihre Aspekte in die Debatte rund um Diversity und Gender einbringen. Was kommt Ihnen zu kurz, welche Perspektive wird nicht ausreichend beleuchtet? Welche Frage möchten Sie uns in diesem Kontext für unsere nächste Interview-Partnerin mitgeben?

Horstmann: Die Gründe für den Mangel an Frauen in technischen Berufen und in Führungspositionen sind nicht nur in den Unternehmen zu finden, sondern auch in der gesellschaftlichen Ausgangslage. Von Kindesbeinen an werden Mädchen systematisch entmutigt, Stärke zu zeigen, Raum zu beanspruchen und sich mit technischen Themen auseinanderzusetzen. Deshalb meine Frage: Wie gelingt es uns als Unternehmer*innen, Impulse in die Gesellschaft hinein zu setzen, um diese Muster aufzubrechen?

Vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihr Mitwirken in unserer Interview-Reihe!

Für unsere Serie #LIT Ladies in Tech suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen und -Partner. Kontaktieren Sie uns gerne bei Interesse. Weitere Informationen zum Thema Frauen in der Tech-Branche finden Sie in unserer Pressemitteilung, und in unserer Studie „Frauen in Tech“ und auf unserer LiT Themenseite 

Mehr zu unserem Netzwerk #LiT Ladies in Tech Wenn Sie sich gerne aktiv in unserer Netzwerk einbringen möchten, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an: hanna.vonderau(at)eco.de

Jutta Horstmann