17.02.2020

Im Gespräch mit Simone Menne, Aufsichtsrätin und Expertin in Finanzen und Digitalisierung

Es gibt tausende gute Gründe, warum die Internetwirtschaft weibliche Verstärkung braucht. Schließlich stehen zahlreiche Jobangebote dem Fachkräftemangel gegenüber oder aber homogene Teams und Denkweisen Innovationen im Wege. Die Digitalbranche boomt, täglich entstehen neue digitale Geschäftsmodelle und schaffen lukrative Jobs, doch die lassen sich Frauen noch zu häufig entgehen. Wir wollen das ändern. In unserer Serie „Frauen in der Tech-Branche“ kommen inspirierende weibliche Fach- und Führungskräfte der Internetbranche zu Wort. Dabei sprechen wir über die wirklich wichtigen Themen: von Entwicklungsperspektiven über Karrieretipps und Zukunftswünsche bis hin zu den Herausforderungen in einem männerdominierten Arbeitsumfeld und warum Arbeit in der Internetbranche Spaß macht. Diesmal mit: Simone Menne, Multi-Aufsichtsrätin, Galeristin und ehemalige CFO der Lufthansa.

 

Sie haben eine sehr beeindruckende Karriere hingelegt. Mit nur 32 Jahren hatten Sie ihre erste Führungsposition inne, waren als käufmännische Leitung für Lufthansa in Nigeria. Im Lufthansa Konzern sind Sie kontinuerlich aufgestiegen bis zur Finanzchefin CFO. Heute sind Sie Multi-Aufsichtsrätin u. a. bei BMW, Johnson Controls und Deutsche Post. Zudem haben Sie im September 2019 ihre Galerie in Kiel eröffnet. Was ist Ihr persönliches Erfolgsrezept?

Simone Menne: Es gab zwei essentielle Eigenschaften, die mir sehr geholfen haben. Um Karriere zu machen, braucht es vor allem ein gutes Selbstbewusstsein und Risikobereitschaft.

 

Ihr Herz schlägt für Women in Leadership. Warum ist Ihnen das Thema Frauen in Führungspositionen persönlich wichtig?

Menne: Mir ist generell erst einmal sehr wichtig, dass gesellschaftlich alle zu Wort kommen und wir eine gesamtgesellschaftliche Perspektive auch in den Führungsetagen erreichen. Schauen Sie beispielsweise ins Feld der KI-Entwicklung: Wenn dort alle Algorithmen überwiegend von einer homogenen Gruppe 25- bis 40-jähriger weißer Männern geschrieben werden, dann resultieren daraus stereotype Lösungen. Es ist es ganz wichtig, dass Frauen ihre Perspektiven einbringen — auch bei der Programmierung von Algorithmen. Zweitens engagiere ich mich für das Thema Frauen in Leadership, weil es nicht legitim ist, sich zu beschweren, dass man nicht gehört oder schlecht behandelt wird, wenn man sich nicht selber einbringt.

 

Im Bereich Women in Leadership gibt es einerseits einige positive Entwicklungen: Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommisions-Präsidentin Ursula von der Leyen und mit SAP-Co-Chefin Jennifer Morgan steht erstmals eine Frau an der Spitze eines DAX-Konzerns. Anderseits gibt es Konzerne, die sich eine Frauenquote von Null Prozent im Vorstand setzen. Wie weit sind wir aus Ihrer Sicht im Bereich Women in Leadership?

Menne: Es gibt natürlich ein paar gute Beispiele, aber man sollte sich nicht blenden lassen von dem, was in den Schlagzeilen steht. Von einer Parität in Führungsetagen, die eigentlich anzustreben wäre, sind wir noch sehr weit entfernt. Im DAX haben wir knapp 10 Prozent Frauen. Es muss also noch ganz viel passieren. Das gilt in allen Bereichen, schauen Sie beispielsweise auf die Oscar-Nominierungen. Es gibt keine einzige Frau, die für die beste Regie nominiert ist, obwohl es sehr gute Regisseurinnen und sehr gute Frauen im Filmbereich gibt. Die Systeme und das gilt nicht nur für Führungsgremien führen nach wie vor dazu, dass sie sich selbst weiter befruchten und weiterhin sehr männliche Systeme hervorbingen. Eine Frau alleine an der Spitze ändert das nicht.

 

Wie können denn Strategien aussehen, um diese männerdominierten Führungsetagen und den Thomas-Kreislauf zu durchbrechen?

Menne: Erstens brauchen wir Quoten, weil es ansonsten nicht funktioniert. Man muss sehr, sehr konsequent mit Quoten arbeiten. Jede Führungskraft muss immer wieder fordern, dass jede Bewerberliste eigentlich zu 50 Prozent mit Männern und zu 50 Prozent mit Frauen besetzt sein muss. Zweitens müssen Frauen ihre informellen Netzwerke stärken und sich gegenseitig unterstützen. Jede Frau, die von einer vakanten Führungsposition erfährt, sollte eine andere Frau nennen und loben und sagen: „Die schlage ich vor“.

 

Studien zeigen, dass Teams mit einem hohen Diversity-Grad innovativer, effizienter und erfolgreicher sind. Diversität hat somit einen finanziellen Mehrwert. Da müsste doch jeder Vorstand sofort dabei sein. Trotzdem stellt Thomas lieber Thomas ein als Tatjana. Woran liegt das und was brauchen wir, um Führungskräfte zu überzeugen?

Menne: Menschen  neigen dazu – und das gilt für Männer wie für Frauen – jemanden auszuwählen, der ähnlich sozialisiert ist. Wenn wir 80 Prozent Frauen in Führungspositionen hätten, dann wäre es vermutlich so, dass Sabine lieber Sabines einstellt. Clevere Führungskräfte suchen jedoch mit Absicht jemanden, der gegebenenfalls unbequem ist und besetzen ihre Teams kontrovers. Dabei spielt auch die Unternehmenskultur eine wichtige Rolle. Wenn die Kultur eine ist, wo immer noch Männerwitze erlaubt sind und wo man die Augen verdreht, wenn eine Frau mit kräftiger Stimme redet, obwohl sie etwas Schlaues sagt, dann ist das problematisch. Dann müssen teilweise die Investoren zur Veränderung beitragen. In einem meiner Aufsichtsräte arbeiten wir gerade an einer entsprechenden Auswertung zur Diversität. Da schauen wir ganz genau: Wie alt sind die Mitglieder in Aufsichtsrat und Vorstand? Aus welchem kulturellem Hintergrund kommen die Mitglieder? Wie international sind die Gremien besetzt? Diese Faktoren werden sehr deutlich von Investoren bewertet und ein homogenes 50-jähriges rein männliches Board, das aus dem gleichen Kulturkreis kommt, zieht definitiv eine schlechte Bewertung nach sich. Dieser Druck von außen hilft natürlich. Darüber hinaus ist auch der Aufsichtsrat gefragt. Aufsichtsräte müssen alles dafür tun, damit man Vorstände besetzt, die für Diversität stehen, die in ihrer Karriere deutlich gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, mit diversen Teams hervorragende Arbeit zu leisten.

 

Sie haben einmal gesagt: Jede Frau in einer Führungsposition hat einmal folgende Erfahrung gemacht. Eine Frau bringt im Meeting einen Vorschlag ein und erhält keine Reaktion. Ein paar Minuten später macht der männliche Kollege den gleichen Vorschlag und erntet Applaus. Wie kann ich derartiges Verhalten unterbinden bzw. ihm souverän entgegnen?

Menne: Wichtig ist, sich im Vorfeld Verbündete zu suchen oder per se Verbündete zu haben. Treffen Sie zuvor eine Art Abkommen: Wenn einer von uns einen Vorschlag macht, der übergangen wird, dann sollte ein anderer darauf hinweisen. Genau das Gleiche gilt, wenn der Kollege den Vorschlag macht, den zuvor schon die Kollegin gemacht hat. Dann sollte ein Verbünderter sagen: „Es ist toll, Herr Meier, das ist ja genau das, was Frau Müller vor fünf Minuten gesagt hat. Schön, dass Sie das bestärken.“ Das ist eine sehr nette, charmante Art so etwas anzusprechen und eben nochmal darauf hinweisen: Das ist nicht ihr Original, sondern das von Frau Müller. Interessanterweise passieren solche Dinge nämlich häufig unbewusst, weil bei Frauen anders hingehört wird.

 

Sie haben einmal in einem Interview einmal sehr schön umschrieben: Wenn ein Handwerker zu Ihnen kommt und sagt: Schwieriger Fall, ich weiß nicht, ob ich das noch repariert kriege und ein zweiter Handwerker sagt: Kein Thema, das krieg ich hin. Dann nehme ich den letzteren. Warum sind Frauen denn eher bescheiden und zögerlich bei neuen Positionen?

Menne: Es ist häufig die Sozialisierung. Mädchen werden immer noch zur Bescheidenheit und Zurückhaltung erzogen. Jungs hingegen, die laut sind, ernten ein Schulterklopfen. Es ist wichtig, Mädchen darin zu bestärken, dass sie anders auftreten und sie auch dementsprechend zu erziehen. Darauf sollten Chefinnen achten und den Frauen ganz viel Mut machen. Und immer wieder sagen: „Doch ich trau Ihnen das zu.“ Die Tendenz sehr bescheiden und zögerlich aufzutreten gilt mitunter leider durch alle Hierachiestufen hinweg. Ich hatte eine Dame, die ich im Aufsichtsrat platzieren konnte. Sie sagte mir, im ersten Gespräch würde sie darauf hinweisen, dass dies ihre erste Aufsichtsratsposition sei und sie an einigen Stellen vielleicht noch nicht so viel wüßte. Da habe ich ihr ganz klar gesagt, das werden Sie nicht tun. Sie werden sagen: „Ich kenne die Frau Menne, und ich kenne andere Aufsichtsräte und ich bin da sehr gut vernetzt. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen, dass ich mich sofort hervorragend einarbeiten kann.“

 

Wie hat sich Führung aus Ihrer Sicht verändert?

Menne: Ich glaube, in einigen Unternehmen hat sich in puncto Führung leider noch gar nicht viel verändert. Viele Unternehmen sind nach wie vor sehr hierarchisch organisiert. Im Idealfall ist Führung jedoch geprägt von Kooperation und dem Agieren auf Augenhöhe. Eine gute Führungskraft ist eine Art Ermöglicher. Ein Mensch, der zuhört, der Ideen zusammenführt, der schlaue Fragen stellt, der Menschen miteinander vernetzt, damit Bereiche übergreifend auf neue Ideen kommen. In gar keinem Fall ist eine gute Führungskraft, der Mensch, der alles sowieso immer besser weiß. In der Regel weiß der einzelne Mitarbeiter in seinem Spezialgebiet ohnehin viel mehr als der Chef. Daher muss ein Chef eine gewisse Bescheidenheit mitbringen und trotzdem natürlich die klare Linie durchhalten und Ziele vorgeben. Wichtig ist darüber hinaus eine gewisse Risikobereitschaft. Viele Menschen in hohen Positionen haben Angst, Entscheidungen zu treffen. Aber jede Entscheidung auf höherer Ebene ist eine Entscheidung unter Unsicherheit. Meine persönliche Linie heißt daher: zuhören, Ideen entwickeln, Leute vernetzen, gut delegieren, aber trotzdem aufpassen, wenn etwas schiefläuft und dann am Ende Entscheidungen treffen und das möglichst schnell.

 

Stichwort: Diversity. Gibt es aus Ihrer Sicht eine Erfolgsformel zur Zusammensetzung von Teams? Wie sieht das ideale Team aus?

Menne: Wichtig ist, Diversität herbeizuführen. Wenn Sie ein rein männliches Team haben, versuchen Sie, den Genderaspekt zu beeinflussen und eine Frau einzustellen. Wenn Sie sehr viel ältere Mitarbeiter haben, versuchen Sie, einen jungen Mitarbeiter für Ihr Team zu gewinnen. Versuchen Sie auch, internationale Blickwinkel in Ihr Team zu bekommen. Dann sind Sie als Führungskraft vor allem in der Moderation gefragt, weil diese Menschen nicht zwangsläufig auf derselben Ebene agieren und kommunizieren. Sie müssen aus diesen Menschen, die kontrovers diskutieren, dann ein Team zusammenzuschweißen, das auf eine gute Lösung kommt. Dafür werden Sie aber belohnt und wirklich erfolgreich sein, weil Sie ganz viele Aspekte bedacht haben und es geschafft haben, sehr unterschiedliche Menschen zu einem gemeinsamen Ziel zusammenzubringen.

 

Mitunter taucht bei den Besetzungen von Führungspositionen das Argument auf: Man hätte sehr gerne eine Frau eingestellt, habe aber keine gefunden. Ist das tatsächlich so und wie kann ich als Unternehmen geeignete Kandidatinnen erreichen?

Menne: Ich kenne diese Beispiele leider auch. Da heißt es lapidar: „Wir haben keine Frau gefunden.“ Wenn ich persönlich so etwas höre, bitte  ich darum, beim nächsten Mal angerufen zu werden, damit ich bei der Besetzung helfen kann. Auf diese Art habe ich bereits verschiedene talentierte Frauen in Aufsichtsräte, Beiräte und in den Vorstand gebracht. Frauen sollten sich viel mehr gegenseitig empfehlen. Ich habe immere mehrere CVs von Frauen, die ich regelmäßig vorschlage, weil ich weiß, dass sie sehr gut sind und dann funktioniert das häufig auch. Mitunter liegt die Ursache dafür, dass keine Bewerbungen von Frauen generiert werden, auch bei den Personalberatern selbst, weil sie mitunter auch sehr homogen rekrutieren und über ein entsprechend ähnlich sozialisiertes Netzwerk verfügen. Während meiner Tätigkeit als CFO bei Boehringer Ingelheim wollten wir beispielsweise eine kaufmännische Leitung, die global einsetzbar sein musste, besetzen. Ich habe eine Vorschlagsliste mit fünf Männer mit sehr homogenem Background erhalten. Das war ganz klar nicht der Auftrag. Ich habe ganz klar eingefordert, dass auch eine Liste mit Frauen aufgestellt wird.  Wenn es keine deutsche Bewerberin gibt, die derzeit global einsetzbar ist, dann sucht man halt international. Und wir haben gute Kandidatinnen gefunden.

 

Wir geben Ihnen jetzt mal einen weiteren interessanten Job und machen Sie zur Chefredakteurin eines Leitmediums – egal ob Bild, Die Zeit oder FAZ: Welche Schlagzeile würden Sie zum Thema „Diversity/Frauen in der Tech-Branche“ im Aufmacher-Artikel gerne lesen? Und was soll in dem Artikel stehen?

Menne: Meine Schlagzeile lautet: Es ist ein Gerücht, dass es keine Frauen in der Tech-Branche gibt. Denn es gibt sie schon jetzt.

 

Wir möchten gerne auch Ihre Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Welche Frage möchten Sie uns in diesem Zusammenhang für die nächste Interview-Partnerin mitgeben?

Menne: Stellen Sie sich vor, Sie müssen die Leitung der IT-Abteilung in Ihrem Konzern neu besetzen. Wie generieren Sie Bewerbungen von Frauen und zwar möglichst kreativ?

 

Lieben herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Interview, Frau Menne!

 

Für unsere Serie #LIT Ladies in Tech suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen und -Partner. Kontaktieren Sie uns gerne bei Interesse. Weitere Informationen zum Thema Frauen in der Tech-Branche finden Sie in unserer Pressemitteilung und bei unserer Kompetenzgruppe New Work

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Im Gespräch mit Simone Menne, Aufsichtsrätin und Expertin in Finanzen und Digitalisierung
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