28.03.2012

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur TK-Bestandsdatenauskunft

Am 24. Februar 2012 hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über die Verfassungsbeschwerden (Az. 1 BvR 1299/05) gegen die Regelungen der Bestandsdatenauskunft des Telekommunikationsgesetzes(§§ 111-113 TKG) veröffentlicht (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20120124_1bvr129905.html). Das BVerfG hatentschieden, dass die Verpflichtung der TK-Anbieter zur Erhebung von Bestandsdaten für öffentliche Zwecke in § 111 TKG nicht gegen das Grundgesetz verstößt, dass dynamische IP-Adressen keineBestandsdaten im Sinne des § 111 TKG sind, dass die gesetzliche Verpflichtung der TK-Anbieter zum automatisierten Auskunftsverfahren in §§ 111, 112 TKG verfassungsgemäß ist und dass dasmanuelle Auskunftsverfahren nach §§ 95 Abs. 1, 111, 113 Abs. 1 S. 1 TKG in verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Für eine verfassungskonforme Auslegungbedarf es zusätzlicher qualifizierter Rechtsgrundlagen für eine Auskunftspflicht der TK-Anbieter. Außerdem darf die Vorschrift nicht zur Auskunft über dynamische IP-Adressen verwendet werden.Bezüglich der qualifizierten Rechtsgrundlage und der Auskunft über dynamische IP-Adressen wurde dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zur Neuregelung bis spätestens zum 30. Juni 2013 eingeräumt.Schließlich dürfen Auskünfte über Zugangssicherungscodes (§ 113 Abs. 1 S. 2 TKG) – insb. Passwörter, persönliche Identifizierungsnummern (PIN) und Password Unblocking Keys (PUK) –nur unter den Voraussetzungen der Nutzung dieser Daten herausverlangt werden. Auch diesbezüglich besteht eine Übergangsfrist bis spätestens zum 30. Juni 2013.

Nach Auffassung des BVerfG ist die Pflicht der TK-Anbieter zur Erhebung von Bestandsdaten ausschließlich für staatliche Auskünfte mit dem Grundgesetz vereinbar. Auch wenn die TK-Anbieter bereitsnach § 95 Abs. 1 TKG zur Erhebung von Bestandsdaten für betriebliche Zwecke berechtigt sind, erfasst § 111 TKG insbesondere auch diejenigen Bestandsdaten, die nicht für betrieblicheZwecke erforderlich sind, z.B. bei im Voraus bezahlten Mobiltelefonkarten.

Dem BVerfG zufolge erfasst § 111 TKG nicht die dynamischen IP-Adressen, die in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses fallen. Dies begründet das BVerfG damit, dass die TK-Anbieter andersals bei statischen IP-Adressen bei der Zuordnung dynamischer IP-Adressen in einem Zwischenschritt die entsprechenden Verbindungsdaten ihrer Kunden sichten, also auf konkreteTelekommunikationsvorgänge zugreifen müssen. Insgesamt misst das BVerfG der Auskunft über statische IP-Adressen als Bestandsdaten wegen ihrer derzeit geringen Verbreitung einen geringenGrundrechtseingriff zu. Sollte die Vergabe statischer IP-Adressen, etwa auf der Basis von IPv6, allerdings weitere Verbreitung finden, könnte der Vorschrift ein deutlich größeres Eingriffsgewichtzukommen. Den Gesetzgeber trifft insoweit eine Beobachtungs- und gegebenenfalls eine Nachbesserungspflicht.

Das BVerfG sieht in der automatisierten Bestandsdatenauskunft (§§ 111, 112 TKG) einen nicht unerheblichen Eingriff, hält diesen jedoch zur Effektivierung der Aufgabenwahrnehmung der Behördenfür verhältnismäßig und gerechtfertigt. Demgegenüber bedürfen die Vorschriften zur manuellen Bestandsdatenauskunft (§§ 95 Abs. 1, 111, 113 Abs. 1 S. 1 TKG) nach dem Urteil desBVerfG zu ihrer Anwendung einer verfassungskonformen Auslegung. Zum einen bedarf es für die abschließende Begründung einer Auskunftspflicht eigener fachrechtlicher – gegebenenfallslandesrechtlicher – Ermächtigungsgrundlagen, die eine Verpflichtung der TK-Anbieter gegenüber den jeweils abrufberechtigten Behörden festlegen. Das BVerfG hat die Norm jedoch nicht für nichtigsondern lediglich für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt und eine Übergangsfrist bis spätestens zum 30. Juni 2013 oder bis zum Inkraftreten einer Neuregelung eingeräumt, in der die Norm wiezuvor angewendet werden kann.

Schließlich hat das BVerfG die Pflicht der TK-Unternehmen zur Auskunft über Sicherheitscodes (insb. Passwörter, PIN und PUK) gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 TKG für verfassungswidrigerklärt. Auch diesbezüglich gewährt das Gericht eine Übergangsfrist bis spätestens zum 30. Juni 2013 oder zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung, in der die Auskunftsbefugnis weiterangewendet werden kann. Die Verfassungswidrigkeit begründet das BVerfG damit, dass die Vorschrift den Behörden Kommunikationsinhalte oder Informationen über Telekommunikationsvorgänge zugänglichmacht und sie damit in die Lage versetzt, die entsprechenden Barrieren für einen Zugang hierzu zu überwinden. Die Erhebung der in § 113 Abs. 1 S. 2 TKG geregelten Zugangsdaten ist nachdem Urteil des BVerfG mit Blick auf die dort verfolgten Zwecke nur dann erforderlich, wenn auch die Voraussetzungen für deren Nutzung vorliegen.

eco befürwortet, dass der staatliche Auskunftsanspruch gegenüber Telekommunikationsdiensteanbietern auf Zuordnung der dynamischen IP-Adresse zu Bestandsdaten ihrer Kunden als Eingriff in dasTelekommunikationsgeheimnis gewertet worden ist und künftig von höheren gesetzlichen Anforderungen abhängig gemacht werden soll. Ebenso stimmt eco mit dem Urteil des BVerfG überein, dass dieAuskünfte über Sicherheitscodes, die den Zugang zu Inhalts- und Verkehrsdaten der Telekommunikation schützen, von denselben Voraussetzungen abhängig gemacht werden sollen wie denen des Zugriffs aufdie Inhalts- und Verkehrsdaten. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, hier rasch eine Neuregelung zu schaffen und für Rechtsklarheit der betroffenen Unternehmen zu sorgen. Kritisch hingegen bewertet ecodie Pflicht der Anbieter von Telekommunikationsdiensten zum Aufbau und zur Pflege einer Datenbank der Bestandsdaten für öffentliche Auskunftsansprüche, unabhängig davon, ob diese Daten fürbetriebliche Zwecke erforderlich sind. Dies stellt einen tiefgreifenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Kunden und in die Berufs- und Eigentumsfreiheit derverpflichteten Unternehmen dar, da sie lediglich für die einzelne Auskunft eine Entschädigung erhalten, nicht jedoch die Investitionskosten für den Aufbau und den Betrieb der Datenbank ersetztbekommen.