25.10.2012

Politalk 2/2012:Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger: Risiken und Nebenwirkungen

 

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger (LSR) war Thema des zweiten eco-PolITalks im Jahr 2012. Am 24. Oktoberdiskutierten Vertreter von Politik, Wissenschaft und Anbietern freier Inhalte die potenziellen Folgen des geplanten Gesetzes. Vor rund 80 Zuhörern kamen sie zu dem einhelligen Schluss: DasLeistungsschutzrecht ist kein geeignetes Mittel, um die Probleme von Verlegern und Journalisten zu lösen. Stattdessen soll man über zielgenauere Formen der Förderung nachdenken, beispielsweiseSubventionen.

Nach der Begrüßung durch Oliver Süme, Vorstand für Politik, Recht und Regulierung bei eco, präsentierte Prof. Dr. Justus Haucap, Professor für Ökonomie an der Heinrich-Heine-UniversitätDüsseldorf, in einem Impulsreferat die wirtschaftswissenschaftliche Sicht auf das geplante LSR. Er begann mit einer Analyse der wirtschaftlichen Ausgangslage: Wenn zahlreiche Verlage fast identischenProdukte anböten, die ohne nennenswerte Kosten unendlich oft vervielfältigt werden können, dann führe dieser Wettbewerb zwingend zu einem Marktpreis nahe Null – in dieser Situation befänden sichdie Onlineangebote vieler Medienmarken heute. Die Ursache: Oft vervielfältigten sie in großem Ausmaß Agenturmeldungen oder gäben in anderen Medien erschienene Geschichten inhaltsgleich wieder, stattmit eigenen journalistischen Leistungen exklusive Inhalte zu schaffen. Starke Marken hingegen, deren Leser mit gut recherchierten und einzigartigen Informationen rechnen dürfen, könnten zumindesttheoretisch höhere Preise durchsetzen, da der Wettbewerb nicht das gleiche Produkt günstiger oder kostenlos bieten könne. Generell hätten alle Medienunternehmen die Wahl, entweder durch Preise naheNull viele Leser anzuziehen und entsprechend mehr Werbung vermarkten zu können, oder aber den Leser zahlen zu lassen – um den Preis einer kleineren Leserschaft und entsprechend geringererWerbeerlöse. Verlage könnten sich zwischen beiden Modellen entscheiden – aber beide seien schwierig durchzuhalten, wenn man keine Leistung biete, die das eigene Medienangebot vom Wettbewerbunterscheidet.
In dieser Situation liege es nahe, neue Geldquellen anzapfen zu wollen. Dieser Gedanke stecke hinter dem LSR. Es sei aber schwierig zu rechtfertigen, da das Internet zu einer deutlichenVeränderung des Medienkonsumverhaltens führe, weil sehr viele Inhalte leicht erreichbar und kostenlos nutzbar seien. Medienkonsumenten würden daher keine Zeitung mehr von vorne bis hinten lesen unddie von der Redaktion ausgewählte Themenzusammenstellung rezipieren. Vielmehr erstellten sie die von ihnen gewünschte Auswahl heute selbst: Im Internet fänden sie die Themen ihres Interesses undnutzten zu jedem Thema jeweils die Quelle, die für sie am geeignetsten erschien. In anderen Worten: Die Leistung der inhaltlichen Zusammenstellung erbringen heute nicht mehr die Verlage, sondern dieLeser. Damit sei aber völlig unklar, welche verlegerische Leistung mit dem LSR geschützt werden solle. Die Artikel seien bereits über das Urheberrecht geschützt, und ein Schutz der Komposition seivor dreißig Jahren zu rechtfertigen gewesen, heute aber nicht mehr, da diese Leistung immer weniger benötigt wird.
Hauptsächlich negative Konsequenzen
Tatsächlich würde ein LSR wahrscheinlich hauptsächlich negative Konsequenzen nach sich ziehen. So stehe es Google frei, Medienmarken aus dem Angebot herauszunehmen, die zu hohe Preiseverlangten. Kleinere Medien würden die Chance nutzen und ihre Angebote günstiger bis kostenlos über Google verbreiten. Eine gute Verhandlungsposition gegenüber Google käme also nur dann zustande,wenn ausnahmslos alle Medienhäuser mitzögen – dies sei nur dann möglich, wenn sie in gegen ihren Willen in ein gemeinsames Kartell hineingezwungen würden, beispielsweise über diePflichtmitgliedschaft in einer Verwertungsgesellschaft. Verwertungsgesellschaften seien aber nur dort sinnvoll, wo Urheberrechtsverstöße schlecht verfolgbar seien. Gerade im Internet jedoch sind siesehr gut nachvollziehbar. Das LSR liefe somit auf die Schaffung eines Zwangskartells hinaus, das inhaltlich nicht zu rechtfertigen sei – ein eklatanter Verstoß gegen die in Deutschland geltendenPrinzipien der Marktwirtschaft. Problematisch sei zudem die Ausschüttung der Erlöse in einem solchen Kartell. Würden sie nach Anzahl der Klicks aufgeteilt, so erhielten die bekannten Boulevardmediender größten Verlagshäuser den Löwenanteil – dann würde das LSR zur reinen Fördermaßnahme für Großunternehmen – und Hauptbegünstiger wären mit hoher Wahrscheinlichkeit die reißerischsten Portaledes Boulevardjournalismus.
Diese Argumente sind jedoch nicht die einzigen Gründe, die gegen ein LSR sprechen. Dies zeigte die anschließende Podiumsdiskussion unter Leitung von Kai Biermann, Redakteur im Ressort Digitalesbei ZEIT ONLINE. Neben Prof. Haucap begrüßte er MdB Siegfried Kauder, Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, MdB Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin des Bundestagsfraktionvon Bündnis 90/Die Grünen, und Pavel Richter, Vorstand von Wikimedia Deutschland e. V., dem Trägerverein der deutschsprachigen Wikipedia
“Leistungsschutzrecht ein Taschenspielertrick”
Obwohl Kauder sich bereits in der Vergangenheit klar gegen das LSR positionierthatte, zeigten sich viele Zuhörer überrascht von der Deutlichkeit seiner Stellungnahme. Ihm sei immer noch nicht klar, welche Leistung mit dem Gesetz eigentlich geschützt werden solle. Er bezeichnetedas Vorhaben als Taschenspielertrick, bei dem einem Unternehmen Gewinne entzogen und auf andere Unternehmen umverteilt werden sollten. Fremde Gewinne zu sozialisieren sei nicht seine Vorstellung vonWirtschaftspolitik. Ihm sei es lieber, wenn die Medienhäuser funktionierende Geschäftsmodelle entwickelten. Wenn – und nur wenn – es tatsächlich notwendig sein sollte, die Presse zu unterstützen,damit sie ihre grundgesetzlich geschützte Aufgabe wahrnehmen kann, dann sei eine steuerfinanzierte Subvention der legitime Weg. Das LSR stehe aber nun einmal im Koalitionsvertrag, und Verträge seiengrundsätzlich zu erfüllen – aber  wenn alle Vertragspartner sich darauf verständigten, könne man auch auf das LSR verzichten. Daher müsste man nun entsprechende Gespräche führen.. Wenn dasGesetz käme, würde er allerdings für eine zeitliche Befristung der Gültigkeitsdauer plädieren. Besser sei es, das ganze Vorhaben zu stoppen und zuerst zu überlegen, was genau man regeln und erreichenmöchte. Im nächsten Schritt könne man dann den besten Weg zu diesem Ziel zu suchen und erst danach die Umsetzung beginnen.
Lösungsversuch ohne Wissensbasis
Auch Rößner war der Ansicht, dass die Aufgabe der Presse in Deutschland möglicherweise tatsächlich schutzbedürftig sei. Dies könne man nicht sagen, da es bisher keine verlässlichen Informationenzur Entwicklung und wirtschaftlichen Lage der Verlagsbranche gebe – ein entsprechendes Forschungsprojekt sei nicht bewilligt worden, so dass alle jetzigen Lösungsversuche nicht auf fundiertenDaten, sondern auf Spekulation beruhten. Aber selbst wenn es Handlungsbedarf gebe, so würde ein Leistungsschutzrecht diese Aufgabe ihrer Ansicht nach nicht erfüllen. Das LSR würde nur den Verlagenhelfen, nicht aber den Journalisten, die die eigentliche Leistung erbrächten. Darüber hinaus würde es zunächst eine Klagewelle auslösen, da die unterschiedlichsten Teilnehmer am Medienmarkt nur aufdiesem Wege Rechtssicherheit schaffen könnten – die vagen und unbestimmten Begriffe des Gesetzestextes ließen keine andere Möglichkeit zu als die gerichtliche Klärung. Zudem seien Abmahnwellen zubefürchten, die zur Schließung vieler kleiner Blogs führen und der Meinungsvielfalt schaden könnten, da der Schutz von Blogs im Gesetz nicht eindeutig und rechtssicher formuliert sei. Dennocherscheine ihr die Zeitungslandschaft schutzwürdig, schon wegen ihrer Funktion, den Leser mit Themen zu konfrontieren, auf die er bei eigenen Recherchen nicht gestoßen wäre. Wenn man die Presse aberfördern möchte, müsse dies aber sorgfältig geplant werden. Eine direkte Förderung von staatlicher Seite schade der unabhängigen Presse, deshalb müssen eventuell bereitgestellte Finanzmittel – aufwelche Weise immer diese gewonnen würden – von einer unabhängigen Kommission, beispielsweise einer Stiftung, verteilt werden. Insbesondere im Lokaljournalismus könne sie sich vorstellen, dass eineFörderung Sinn gebe.
Urheberrecht kein Werkzeug gegen Marktversagen
Diesen Ansatz sah Prof. Haucap kritisch: Gerade im Lokaljournalismus gebe es vielfach örtliche Monopole, so dass diese Medien – wenn sie nicht gerade mit schlechten unternehmerischenEntscheidungen zu kämpfen hätten – ein großes Potenzial hätten, angemessene Preise zu erzielen. Einen konkreten, wirtschaftlich sinnvollen Schlüssel zu Aufteilung von Fördergeldern zu erarbeiten,halte er deshalb für schwierig. Er vertraue nach wie vor in die Kraft des Marktes. Diese werde aber beschädigt durch jüngst vorgebrachte Ansätze wie die Idee, Google News zu Verbreitung allerPresseangebote rechtlich zu verpflichten, gleichzeitig aber diese Verbreitung für Google kostenpflichtig zu machen. Wenn Google tatsächlich aufgrund seiner marktbeherrschenden Stellung besonderePflichten wahrnehmen solle oder reguliert werden müsse, dann sei das Kartellrecht dafür das angemessene Werkzeug. Ein Zugriff über das Urheberrecht sei widersinnig.
Risiko für innovative Webprojekte
Richter brachte die Sicht eines außenstehenden Inhaltschaffenden in die Diskussion. Die Wikipedia wäre zwar vom LSR mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht betroffen. Die Risiken des LSRdemonstrierte er aber mit einem Vergleich: Hätte der Brockhaus eine bessere Lobby gehabt, hätte es möglicherweise ein Schutzrecht gegeben, um Qualitätslexika vor Amateurenzyklopädisten zu schützen– und ein so faszinierendes und fruchtbringendes Projekt wie die Wikipedia wäre an Deutschland vorbeigelaufen. Andere Webprojekte seien durch das LSR einem solchen Risiko ausgesetzt. Eine –selbst unberechtigte – Abmahnung würde reichen, um viele kleine Anbieter aus dem Markt zu fegen, da diese sich keinen Rechtsstreit leisten könnten. Und die Frage stehe im Raum, was danach allesnoch geschützt werden solle. Schulbuchverlage würden absehbar Probleme bekommen, da im Internetzeitalter nicht alle drei Jahre leicht aktualisierte Klassensätze an tausende von Schulen verkauftwerden könnten. Solle deren vielleicht bald obsoletes Geschäftsmodell geschützt werden? Was käme als nächstes? Als konkretes Problem des Journalismus sehe er nicht die Ausnutzung durch andereUnternehmen, sondern die Geringschätzung der Journalisten durch die Verlage. Trotz mehrerer abgeschlossener Ausbildungen kämen viele freie Journalisten oft nur auf ein Durchschnittseinkommen von1.500 Euro – dies ermögliche keine gründliche journalistische Arbeit. Darin wurzele das Qualitätsproblem und in der Folge die geringe Zahlungsbereitschaft der Leser. Dies führe nun zu einer Kriseder Verlage. Eine Krise der Meinungsvielfalt sehe er hingegen nicht. Das Bedürfnis nach Information würde heute aus vielen Quellen gestillt, von denen die Presseverlage nur eine seien. Ihr teilweiserAusfall könne leicht kompensiert werden.
An der abschließenden Diskussion beteiligten sich unter anderem Repräsentanten des Deutschen Journalistenverbands und von Google. Unternehmenssprecher Ralf Bremer gab allerdings keine Prognoseab, wie Google auf ein LSR reagieren würde, da man noch nicht wissen könne, ob und in welcher Form das Gesetz kommen würde. Diese und weitere offene Fragen des Abends wurden im Anschluss noch langein kleineren Zirkeln weiterdiskutiert.